Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn – Teil 3

Teil 3

In der antiken Psychologie ist der Tastsinn der Sinn für verschiedene Wahrnehmungen, wie hart und weich, aber auch warm und kalt, und trocken oder feucht usw. Das führt auch zu einer gewissen Verwirrung bezüglich des Organs für diese so verschiedenen Wahrnehmungsgegenstände.  Soll ein Sinnesorgan für so verschiedene Wahrnehmungen zuständig sein? Rudolf Steiner hat in seinem Buch ‚Anthroposophie‘ 1910 (Fragment) eine Differenzierung und Erweiterung der Sinne entwickelt, die auch für den Tastsinn bedeutsam ist. Er beschreibt drei neue Sinne, die den Bereich differenzieren, der bisher dem Tastsinn zugeschrieben wurde. Dadurch bleibt dem Tastsinn nur die Wahrnehmung von Druck, Widerstand. Alle anderen Wahrnehmungen wie Härte oder Weichheit sind nach Steiner schon Urteile, die an diese Wahrnehmung herangetragen werden. Noch andere Wahrnehmungen entstehen dadurch, dass der durch den Tastsinn wahrgenommene Druck auch Veränderungen im Körper verursacht: „Ein Körper, der auf mich drückt, verursacht z.B. eine Lageverschiebung innerhalb meiner Leiblichkeit, diese wird durch den Lebens-, oder Eigenbewegungs-, oder den Gleichgewichtssinn wahrgenommen.“ (S. 169 Clement) Der Lebenssinn wird folgenermaßen charakterisiert: „Durch sie empfindet sich der Mensch als ein den Raumerfüllendes, leibliches Selbst.“ Der Eigenbewegungssinn: „durch welchen der Mensch z.B. eine von ihm ausgeführte Bewegung wahrnimmt.“  Der Gleichgewichtssinn (statischer Sinn): „wie der Mensch sich gegenüber von oben und unten, rechts und links usw. in einer bestimmten Lage zu erhalten vermag.“ „Der Mensch erlangt durch diese drei Sinne die Empfindung der eigenen Leiblichkeit als eines Ganzen, welche die Grundlage ist für sein Selbstbewusstsein als physisches Wesen. Man kann sagen, die Seele öffnet durch Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn ihre Tore gegenüber der eigenen Leiblichkeit und empfindet diese als die ihr zunächst stehende physische Außenwelt.“ (S.165 Clement) Für die Seele sind diese Sinne die Berührung mit der irdischen Welt in der eigenen Leiblichkeit. Die Seele ist da eingetaucht in die verschiedenen Kräfte des Festen, Flüssigen, Luftigen, Feurigen. Die Seele berührt dort die Natur und die Natur berührt die Seele.  

Leben und Sinnestätigkeit sind für das kleine Kind noch eins. “Das Kind nimmt alles, was in seiner Umgebung geschieht, so wahr, wie wenn sein ganzer Körper Sinnesorgan wäre. Deshalb macht es alles nach, weil alles weitervibriert in ihm und wiederum mit derselben Weise, wie es in ihm vibriert, durch seinen Willen herauswill.”(9. Klassenstunde S.170) Also der innere Sinn und der äußere Sinn sind noch einheitlich und das Kind lebt und erlebt die Umgebung eins zu eins mit. Und dieses Erleben wird Leben und das Leben wird Erleben und darin liegt das Prinzip, wie das Geistig-Seelische sich mit dem sich bildenden Organismus verbindet. Es zieht über dieses Erleben in das Leben des Organismus und der Organe ein. Die Wahrnehmungsfähigkeit der Organe und der gesamten Organisation bis in die kleinste Zelle bildet sich im Mitvibrieren mit der Umgebung. Dieses ‘Vibrieren’ zieht in den Organismus ein und bildet dessen Funktionen aus. Ob die Organe sich verhärten gegeneinander oder sich auflösen im Organismus oder aber einen Gesamtorganismus bilden hängt von dieser Tätigkeit des Kindes und seiner Umgebung ab. Eine erste signifikante Trennung oder Aufspaltung dieses einheitlichen Sinnes erfolgt wenn die Erdenkräfte auf das Kind dadurch einwirken, dass Kind nicht mehr getragen wird, sondern sich selbst tragen muss, es sich auf seine eigenen Füße stellt und sich in den Erdenkräften bewegen und halten muss. “In dem Augenblicke, wo das Kind sich auf seine Füße stellt, anfängt sich so zu bewegen, dass seine Bewegungen in die Kräfte der Erde hineinfallen, das Kind sein eigenes Gleichgewicht halten muss, in dem Augenblicke hört auch das intime Sinne-Sein des Kindes auf. So dass der Mensch, der sich ja nicht bis zu dieser ersten Stufe des Menschtums zurückerinnert, gar nicht weiß, was es eigentlich heißt, sich als ganzer Mensch wie ein Sinn zu fühlen. Aber wir müssen, wenn wir den Menschen immer mehr und mehr in uns erleben wollen, eben als ein solcher Sinn als ganze Mensch erfühlen und erleben. Dann aber müssen wir uns als Tastorgan erleben, als ein einziges großes Tastorgan, das unser ganzer Leib ist.” (ebd. S.170)

Das Tasten vollziehen wir unbewusst permanent, indem wir uns mit unserem Körper in die Erdenkräfte hineinstellen. Die Schwerkraft (als eine Erdenkraft) wirkt überall in den Körper hinein, und wir stellen uns ihr entgegen. Steiner bezeichnet sie als ‘Stütze’ und fordert dazu auf zu Ertasten wie die Erdenkräfte diese Stützwirkung im Leib ausüben. Hier wird das unbewusste Tasten in ein bewusstes Tasten umgewandelt. Indem ich darauf hingewiesen werde, was ich da eigentlich fortwährend unbewusst ertaste, wird mir mein eigenes Tasten erlebbar und gleichzeitig das, was ich ertaste: Die Erdenkräfte, die mich stützen. In einem nächsten Schritt wird dann in das Tasten selbst hineingegangen, und man kann bemerken, dass es in einem die flüssigen Kräfte sind, mit denen wir tasten. “Wenn wir dazu aufsteigen, dieses Tasten selber nun zu empfinden, dann nehmen wir nicht die Erdenkräfte wahr, sondern dann fangen wir an, in uns die vibrierenden Wasserkräfte wahrzunehmen, die Flüssigkeitskräfte, die als Blut, als andere Kräfte in unserem Körper wellen und weben.“ (S.170) In diesen Flüssigkeitskräften wiederum webt und vibriert das Luftige, das Atmen. Und in dem Luftigen, dem Atmen lebt die uns erfüllende Wärme. Man kann in diesem Durchgang durch die Elemente die Metamorphose des Tastens erkennen, bis zur Grenze der Erdenkräfte, die das Zurückstrahlen der Bewegung bewirken.

Im Heilpädagogischen Kurs (1924) wird dieses direkte Hineinstellen des Geistig-Seelischen in die Erdenkräfte und in die anderen Kräfte diagnostisch und therapeutisch angeschaut. So kann das Geistig-Seelische, ein Problem mit der Wahrnehmung bestimmter Kräfte haben, was dann Folgen für die Leibbildung hat und dann wiederum Folgen für das Geistig-Seelische in dem Leib leben und wahrnehmen zu können. Indem ich es dann verstärkt auf diese Kräfte hinweise, indem ich diese Kräfte verstärke, kann ich das Geist-Seelische dazu anregen diese Kräfte besser wahrnehmen zu können, und sich stärker (tastend) zu engagieren. (Steiner gibt hier die Empfehlung mit bestimmten Gewichten diese Wahrnehmung zu verstärken). Den Übergang von dem oberen Sinnesmenschen (und Denkmenschen) in den unteren Sinnesmenschen (und Bewegungsmenschen) bildet interessanterweise die Wärme. Die Wärme ist zugänglich für das Denken und damit für die Lichtwirkungen des Denkens und der oberen Sinne. Man kann jetzt das Tasten in zwei Richtungen verfolgen, sein Entstehen und seine Bewegung bis zur Grenze der Erdenkräfte hin, und die andere Richtung, das Tasten, das einmal durch die Erdenkräfte zurückstrahlt auf sich selbst, und das so allen Sinneserfahrungen ein Selbstbewußtsein der eigenen leiblichen Existenz hinter- und unterlegt, und dieses eigene Existenzerleben auch auf die anderen Wahrnehmungsgegenstände ausdehnt. Das Urteil: der Baum ist grün, oder auch: der Baum ist, entspringt dieser unbewussten Bezugnahme auf die eigene Existenz.

(Rudolf Steiner Schriften – Kritische Ausgabe Bd. 6 , Stuttgart -Bad Cannstatt 2017) und Rudolf Steiner,  Esoterische Unterweisungen für die erste Klasse der Freien Hochsschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum, 1. Band Dornach 1999)

In einem nächsten Teil werde ich den Zusammenhang des Tastsinnes mit dem Ichsinn (mit dem Hintergrund der Delos-Seminare zu diesem Thema) untersuchen.

 

 

 

 

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