Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn

Teil 8

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Eine ähnliche Perspektive auf die Beziehung zwischen irdischem Leben und nachtodlichen Leben wie Albertus im Mittelalter hat Rudolf Steiner (wie oben schon angesprochen) im sogenannten Heilpädagogischen Kurs entwickelt: „Sie gehen durch die Welt. Jetzt glauben   Sie, wenn Sie so durch die Welt gehen, zum Beispiel einen Tag, jetzt meinen Sie, das ist etwas Geringeres: Es ist auch etwas Geringes für das gewöhnliche Bewusstsein, es ist aber nicht Geringes für dasjenige, was im gewöhnlichen Bewusstsein das Unterbewusstsein bildet. Denn wenn Sie nur einen Tag durch die Welt gehen und sie genauer anschauen, so ist das schon die Vorbedingung für die Erkenntnis des Inneren des Menschen. Außenwelt im Erdenleben ist geistige Innenwelt im außerirdischen Leben.“ (HPK S.21) Das genaue Anschauen der Welt ist Vorbedingung für die Erkenntnis des Inneren des Menschen, und die Erkenntnis des Inneren des Menschen ist Vorbedingung für den Aufbau einer neuen Leiblichkeit. Die Perspektive von Albertus wird hier konsequent weitergedacht im Sinne des ‚anima forma corporis‘. Die irdische Seele bereitet die nachtodliche Erkenntnis vor, die nachtodliche Erkenntnis des menschlichen Inneren (im geistigen Äußeren) wird zu der Seele, die dann als formende Kraft den Körper belebt und beseelt.

Wolf-Ulrich Klünker hat diesen Zusammenhang wiederum fortgeschrieben für die menschenkundlichen Verhältnisse des 21. Jahrhunderts, also unter den Voraussetzungen einer stärkeren geistigen Eigenständigkeit des Menschen. (Das Folgende war Inhalt des Seminars im Dezember 2017) Diese Aktualisierung führt zu einer weniger dualistischen Aufteilung in Diesseits und Jenseits, außerirdisch und irdisch. Diesseits und Jenseits nähern sich im Ich (und im Tastsinn) immer mehr an. Sie berühren sich als Innen und Außen. Das Ich tastet die Natur. Es stellt damit eine Welt aus sich heraus, und verbindet sich gleichzeitig mit dieser Welt. Ich taste also ein Außen, das vorgeburtlich mein Inneres war. Das, was jetzt tastet, war vorgeburtlich meine Außenwelt. Im Moment des Tastens durchdringen sich Innen und Außen wieder. Das, was in der Steiner’schen Perspektive sich erst nachtodlich eingelöst hätte, als Erkenntnisvoraussetzung für das menschliche Innere, wird heute schon unter irdischen Bedingungen real: Mein aktuelle Leibbildung und mein aktuelles Selbstgefühl speisen sich aus der Berührung/ Durchdringung im Tasten des Ich. Das, was ich irdisch taste, bin ich selbst in meiner vorgeburtlichen Existenz.

Reale Tasterfahrungen sind natürlich die Voraussetzung für weitergehende Erfahrungen mit der Berührungsgrenze von Innen und Außen im Erleben. Aber die ‚Empfindung hinter dem Denken‘ ist eigentlich der neue Tastsinn. Voraussetzung für dieses Geschehen ist der Zusammenbruch der alten Empfindungszusammenhänge bis ins Selbstgefühl hinein. Ja man kann sagen, die alten Empfindungszusammenhänge reichen auch nicht mehr aus um den eigenen Organismus zu erhalten. Empfindung nach dem Denken deshalb – weil sich aus dem Denken eine Wahrheitsempfindung, ein Wahrheitsgefühl entwickelt, dass erst diesen neuen Erlebnisraum eröffnet. Eine ‚Erlebnisschicht‘ an der Lebensrealität. Das eigene Erleben kommt einem als elementare Außenwelt entgegen.

Wer erlebt? Und was wird erlebt? Und wie berührt sich das, durchdringt sich, geht ineinander über? Solche einfachen Fragen machen deutlich wie oszillierend ein solcher Weltbezug ist. Ist das Ich noch das alte Zentral-Ich des Bewusstseins? Oder wird das Ich immer mehr zu dem, was erlebte Natur ist? Welche diagnostischen, prognostischen oder therapeutischen Aussagen können dann über ein Ich und seine Entwicklung überhaupt noch gemacht werden?

18.8.2018

2 Gedanken zu “Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn

  1. Lieber Roland, voellig ungedenk des inhaltes (sehr spannendes Thema) moechte ich nur kurz mit-teilenwie stark mich das bild mit regenbogen beindruckt hat im zusammenhang meiner heutigen erstmaligen begegnung mit Jasminka hier in Stourbridge wo wir uns den ganzen morgen mit dem Farberlebnis incl. regenbogen beschaeftigt haben. (www.experiencecolour.org)
    Sie wies mich hin auf deinen blog und als erstes zeichen gruesste mich der regenbogen.
    nun will ich mal lesen
    Ich nehme an sie wird dir selber nachrichten, bis auf weiteres
    diogenes

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