Entwicklungsräume des Ich

Heute bei einem Vortrag von Wolf-Ulrich Klünker in Bremen einige weiterführende Gedanken zu Frage der Ich-Entwicklung. Der Vortrag hatte den interessanten Titel: „Das Leben nach dem Tod. Ich-Entwicklung bei Aristoteles, Thomas von Aquin und Rudolf Steiner“. Mein Focus hier liegt dabei auf dem Entwicklungsschritt, den Wolf-Ulrich Klünker als anstehend beschrieb: Die Öffnung der Individualpsychologie zum anderen Ich! Beziehung ist heute eigentlich nur da (auf der Ich-Ebene) real, wo die Menschen sich gegenseitig Entwicklungsräume eröffnen. Man könnte auch sagen, Ich ist nur da real, wo mir aus meiner Peripherie mein Ich ermöglicht wird/gegeben wird/begegnet. Ansonsten muss der innere subjektive Ich-Anteil mit der Zeit eigentlich sich auflösen, oder sich verhärten. Für eine solche Entwicklungssituation, wo sich Ich und Ich durchdringen, begegnen, braucht es aber die Präsenz des Ich: eine Anwesenheit des Ich. Interessant ist dabei für einen selbst immer auch eine gewisse Überprüfung, wann man eigentlich wo und wie d a sein kann? Wo kann ich nur teilweise anwesend sein, wo gar nicht, wo gibt es Beziehungen, in denen ich ganz da bin. Und wie kann es mir gelingen mehr da zu sein? Womit hängt das zusammen, dass man in bestimmten Beziehungen mehr ist als sonst (ohne dass das bedeutet, die ganze Zeit von sich zu reden)? Womit hängt es zusammen, dass man in bestimmten Verhältnissen sich weiter gedacht und erlebt fühlt, als in anderen Verhältnissen. Man könnte auch fragen, warum ist in solchen Begegnungen mehr Zukunft, mehr Möglichkeit von mir anwesend?

(mir wurde auch noch einmal klarer, warum unser Verein eigentlich Umkreis e.V. heißt – jeder Mensch braucht einen solchen Umkreis als Entwicklungsraum, und es ist jeweils ein ganz individueller, kein allgemeiner in dem man drin sein kann, sondern einer der immer wieder neu entsteht und sich entwickelt.)

Roland Wiese 6.3.2019

 

4 Gedanken zu “Entwicklungsräume des Ich

  1. Das sind sehr interessante Gedankengänge, die mich an Erkenntnisse des modernen biologischen und sozialen Konstruktivismus denken lassen. Meine Weltsicht und mein Welterleben verändern die Welt und damit verändert auch der Blick anderer auf mich meine Welt, mein Selbsterleben.
    „Womit hängt es zusammen, dass man in bestimmten Verhältnissen sich weiter gedacht und erlebt fühlt, als in anderen Verhältnissen. Man könnte auch fragen, warum ist in solchen Begegnungen mehr Zukunft, mehr Möglichkeit von mir anwesend? “ Ich denke das hat viel mit Resonanzphänomenen zu tun in denen sich die Wirklichkeit wechselseitiger Interessen und Kontaktanliegen widerspiegelt.
    Viele Grüße
    Klaus

    1. Lieber Klaus, danke für deinen Kommentar! Ich meine damit, dass der andere Mensch einen Teil meines zukünftigen Ichs repräsentiert und mir ‚liefert‘, der in mir zwar als Möglichkeit veranlagt ist, aber nicht bewusst realisiert wurde. Es ist quasi eine Resonanz auf mein zukünftiges Selbst.

  2. Vielen Dank für die inspirierende Beiträge auf dem Blog!
    Ich stolpere leicht auf den Satz „Ich-Beziehung ist nur auf der Ich-Ebene real, wo sich Menschen gegenseitig Entwicklungsräume eröffnen“. Denn damit ist Begegnung gleich in einer Entwicklungsdynamik gestellt. Ich sehe davor einen Schritt zu differenzieren, der natürlich auch in einer Entwicklung gehört, wo das Ich in seiner Präsenz aber erstmal eine bezeugende Tätigkeit hat. Es wäre mehr ein Stillhalten und Annehmen, ein Raum um zu sein, bevor ein Raum um zu werden kommt. Die Entwicklung folgt erst aus dem, was durch das Bezeugen ankommen kann.
    Herzliche Grüße,
    David

    1. Lieber David Richardoz, danke für Deine Resonanz. Ja, das Bezeugen des Anderen ist dessen objektive Wirklichkeit, so dass wir erst durch den anderen real existieren.

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