Geburt und Tod

Ich hatte vor kurzem eine interessante Supervision mit den Mitarbeiter*innen eines Palliativstützpunktes. Wir haben dort über eine Stunde die verschiedenen ‚Leidenswege‘ der Patient*innen und ihrer Angehörigen bis zum Sterben hin miteinander bewegt. Jeder und Jede geht sehr unterschiedlich damit um, wenn die Perspektive ist: ich muss sterben! Auch die Angehörigen werden aus ihren gewohnten Umgangsweisen im Leben herausgerissen, ohne gleich neue Strategien zu haben. Es wird gekämpft, verweigert, Angst erlebt, aber oft am Ende fügt sich doch alles irgendwie (wie eine Teilnehmerin formulierte). Und dann ist der Moment des Sterbens und des Todes auch für die Palliativkräfte etwas ganz Besonderes. Der Tod als Ziel des Lebens ist erreicht und es kann eine Stimmung des Friedens erlebt werden. Da ich gerade aktuell das Geburtsgeschehen, das meine Tochter und ihr Mann durchstehen mussten, von Ferne, aber doch innerlich nah, miterlebt habe – mit all den Unsicherheiten, Krisen und Schmerzen, aber auch der möglichen guten Begleitung und Unterstützung – kam mir in den Sinn, wie ähnlich sich doch Geburts- und Todesprozess sind, nur dass bei der Geburt am Ende in der Regel ein kleiner neuer Mensch bei uns angekommen ist. Wo kommt der her? Ein ganzer Mensch aus dem Nichts. Die Geburt läuft auf ein klares Ziel hinaus, alle Schmerzen haben diesen Sinn und dienen normalerweise diesem Ziel. Beim Tod ist es ähnlich, aber dieses Ziel ist in der Regel nicht gewollt. Man hat als lebender Mensch stattdessen das Gefühl es wird einem etwas weggenommen. Man denkt nicht, dass man etwas bekommt. Bei der Geburt ist nachher etwas da, beim Tod anscheinend etwas weg. Aber deutet nicht die besondere Stimmung, von der die meisten, die durch ihre Arbeit mit dem Tod zu tun haben, berichten können, darauf hin, dass hier auch etwas ist, etwas Neues ist, das wir nur noch nicht wirklich fassen können? Ist der Tod heute für das Individuum nicht ein ganz besonderer Tod, doch wesentlich anders als früher, als man sich von Religion und sozialer Gemeinschaft viel mehr in sein Schicksal fügte? Ist er nicht, speziell in diesem mit Krankheit verbundenem Ringen, ein Kampf um das eigene konkrete Leben gegen ein Unbekanntes, was wir Tod nennen? (Natürlich auch ein konkreter Kampf mit den Krankheitssymptomen und Schmerzen) Merkwürdig, diese ‚Wehen‘ zu einer unbekannten Geburt, zu einer Geburt ins Unbekannte…

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