Leben und Tod – Leben mit Verstorbenen

Leben und Tod

Ich begleite seit einigen Jahren als Supervisor eine Gruppe eines Hospizvereines, die Trauerbegleitung für Kinder anbietet. Dort können Kinder, die einen nahen Angehörigen verloren haben, in einem geschützten Rahmen mit anderen Kindern spielend und sprechend mit ihrer Trauer umgehen. Oft ist dazu im häuslichen Rahmen nicht der Raum, weil die Angehörigen mit ihrer eigenen Trauer absorbiert sind von den Bedürfnissen der Kinder. Manchmal sind es auch besondere Situationen, wie der Suizid eines Elternteiles, der verarbeitet werden will. Die konkreten Geschichten der einzelnen Kinder regen in mir immer wieder Gedanken an, die im Gespräch mit der Gruppe als eine Betrachtungsmöglichkeit der Situation kurz auftauchen, die aber im Gespräch meist nicht ausgearbeitet werden können. Im Folgenden möchte ich einem solchen Zusammenhang etwas weiterdenken. Es ist selbstverständlich, dass die konkreten Geschichten der Kinder hier nicht geschildert werden können. Aber es sind einige Elemente in diesen Geschichten, die bei allen gleich sind: Die Wirkungen des Todes in das Leben. Die Bewegungen, die der Tod eines nahen Angehörigen im Leben der Hinterbliebenen auslöst. Die Kinder und auch die Erwachsenen waren gezwungen die Beziehung zu einem ihnen nahen Menschen umzuwandeln, weil dieser Mensch nicht mehr leibhaftig anwesend war. Weil dieser Mensch weg war, gestorben, die Beziehung aber weiterhin in ihnen lebt. Das Gefühl der Trauer speist sich aus dieser Situation. Am Ende unserer letzten Supervision tauchte deshalb die Frage auf, was eigentlich aus der Trauer wird.

1.

Beziehungen zu Verstorbenen und zu Lebenden

Wenn ein naher Mensch gestorben ist hat man als Angehöriger plötzlich zwei Arten von Beziehungen: die Beziehung zu den lebenden Menschen und die Beziehung zu einem (oder mehreren) verstorbenen Menschen. Schon die Beziehungen zu lebenden Menschen sind manchmal kompliziert, weil sich die Beziehung ja von zwei Seiten her entwickelt, und man deshalb nie genau weiß, was eigentlich gerade geschieht. Die Beziehung zu verstorbenen Menschen ist nun oft noch komplizierter, weil es dafür kaum Begriffe oder Umgangsweisen gibt, die allgemeingültig sind. Die wenigen Hilfen, die unsere Kultur (und aus diesem Blickwinkel ist dies hier geschrieben) für diese Beziehungen gibt, also Orte (Friedhöfe), Zeiten, also Gedenktage, sind auch gerade im Begriff sich zu verändern und zu individualisieren. Die Beziehung zu einem verstorbenen Menschen wird damit immer mehr davon abhängig, wie ich den Menschen denke in seiner Beziehung zu Leben und Tod, und welche Beziehung ich zu diesem speziellen Menschen im Leben hatte und jetzt im Tod haben will. Auch die Beziehung zu lebenden Menschen hat darin ihre Grundlage, die aber mehr unbewusst wirksam ist, weil  die Beziehung aus dem Leben heraus immer wieder neu gefüllt wird mit Inhalten des Lebens. Stirbt ein Mensch fällt diese Erfüllung anscheinend weg, und die Beziehung wird aus den Erinnerungen gespeist, also aus der Vergangenheit, dem vergangenen Leben. Es ist nicht einfach zu bemerken, dass auch die Beziehung zu einem Verstorbenen noch eine Zukunft hat und dadurch eine lebendige Gegenwart, die nicht allein vergangenheitsgeprägt ist. Ein solches Bemerken ist umso schwieriger, je mehr die Beziehungen zu den lebendigen Menschen, die Beziehungen zu den verstorbenen Menschen übertönen, weil sie fordernder und vordergründiger sind. Ich müsste mich als Erstes vielleicht darauf einstellen zwei sehr voneinander verschiedene Arten der Beziehung zu Menschen zu haben: zu Lebenden und zu Verstorbenen. Die Beziehung zu den Lebenden kann dabei ebenso wenig das Maß für die andere Art der Beziehung sein, wie umgekehrt. Eher könnte man davon sprechen, dass sie sich gegenseitig aneinander messen. Vielleicht in dem Sinne, dass die Beziehung zu Lebenden davon positiv befruchtet werden kann, dass ich eine bewusste Beziehung zu Verstorbenen haben kann und umgekehrt: Eine freie und bewusste Beziehung zu Verstorbenen ist geradezu darauf angewiesen, dass ich auch reale Beziehungen zu lebenden Menschen habe.

Weiterlesen

Ich-Entwicklung begleiten 9.11.2019

Im September und Oktober hatte ich so viele Veranstaltungen, dass ich mit dem Nacharbeiten gar nicht hinterherkomme. So hatten wir am 21.9. die Vernissage von Elfi Wiese, am 22.9. die Eröffnung von Wolfgang Voigts neuem Atelier in Wennigsen, am 28.9. gleichzeitig ‚Ich-Entwicklung begleiten‘ und die Katalog-Vorstellung von Jasminka Bogdanovic in Dornach (so das Martina Rasch das Treffen zur Ich-Entwicklung alleine leiten musste). Am 19.10. hatten wir dann ein Forschungstreffen zum Thema ‚Die Sinne des Ich‘ in Horstedt. Und jetzt am 9.11. ging es weiter mit unseren Treffen zur ‚Ich-Entwicklung‘. Der Gesamtzusammenhang wird hier erwähnt, weil bei allen Veranstaltungen für mich das Thema ‚Ich-Entwicklung‘ explizit oder mehr hintergründig anwesend war.

Nachdem wir in den Treffen zur ‚Ich-Entwicklung‘ Anfang des Jahres mehr das Denken untersucht haben, ergab sich für die letzten Treffen mehr die Frage nach dem Willen. Martina Rasch hatte für sich eine Stelle aus der ‚Allgemeinen Menschenkunde‘ (R. Steiners) gefunden, mit der wir dann zwei mal gearbeitet haben, und die jetzt beim dritten Treffen noch einmal Ausgangspunkt war. „Erst wenn man den Willen wirklich erkennt, kann man auch wenigstens einen Teil der Gefühle erkennen. Denn ein Gefühl ist mit dem Willen sehr verwandt. Wille ist nur das ausgeführte Gefühle und das Gefühl der zurückgehaltene Wille. Der Wille, der sich noch nicht wirklich äußert, der in der Seele zurückbleibt, das ist das Gefühl: ein abgestumpfter Wille ist das Gefühl“ (4.Vortrag S.62) „Gefühl ist werdender, noch nicht gewordener Wille; aber im Willen lebt der ganze Mensch.“ (S.75).

Weiterlesen

Erde aufgehoben Teil III

Finissage

Heute war die Finissage der Ausstellung ‚Erde Aufgehoben‘ von Elfi Wiese in Fischerhude und zum Abschluss war zu einer Bildbetrachtung eingeladen. Ausgesucht waren zwei sehr gegensätzliche Bilder: Marokko

IMG_20191102_150301

und ein neues Bild, das hier zum ersten Mal gezeigt wurde:

IMG_20191006_140156

Es ergab sich ein interessantes Gespräch über die Bilder und über die Arbeit der Malerin. Die Teilnehmer*innen und die Malerin konnten, angeregt durch Fragen von Wolf-Dietmar Stock und Barbara von Monkiewitsch, ihre Eindrücke von den Bildern miteinander abgleichen. Als Nebeneffekt des ‚Zusammenschauens‘, also des gemeinsamen sich Vertiefen in die Bilder, wurde immer mehr von dem sichtbar, was von den Einzelnen gesehen wurde. Dadurch konnte man das eigene Sehen vertiefen und erweitern. Eigentlich brauchen Bilder dieser Art ein solchen Prozess, denn der Betrachter muss eine ganz eigene Aktivität aufbringen um einen/seinen Zugang zu den Bildern zu finden. Sie warten auf diese (Ich)Aktivität und sie werden erst zu wirklichen Bildern in diesem aktiven Sehprozess. Ein solches Geschehen ist tendenziell auch offen für immer neue Bemühungen und Anläufe und damit auch für einen sozialen Austausch.

Eine persönliche Randbemerkung:

Für mich war sehr aufschlussreich, wie die Bilder (zum Teil hatte ich sie auch schon Österreich, also in anderer Umgebung und Hängung gesehen) sich in diesem Gesamtzusammenhang: Kunstverein Fischerhude, ButhmannsHof,  der Ort Fischerhude zeigen. Die Bilder hängen in einem Raum im Giebel des Museums des Kunstvereins. Im Stockwerk darunter die Ausstellung mit dem Fischerhuder Maler Angermeyer und andere Fischerhuder Maler. Sie hängen also umgeben von der Geschichte dieses Ortes und damit einer bestimmten Form der Malerei vom Anfang bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese Malerei war sehr orts- und landschaftsbezogen. Sie ist dadurch auch in einer ganz bestimmten farblichen Stimmung gehalten. Diese Stimmung, aber auch der gemalte und wirkliche Ort Fischerhude und seine Umgebung, leben als eine ‚Substanz‘ der Arbeit dieser Maler fort. Sie drohen aber auch den Ort in einer gewissen Weise in sich selbst festzuhalten. So dass Fischerhude zum Bild seiner selbst wird, erzeugt durch die Maler. Elfi Wiese Bilder (und die anderer moderner Künstler), und das war eben in dieser Ausstellung zu erleben, setzen auf dieser Malerei auf, sie setzen sie voraus, aber sie lösen sie auch gleichzeitig wie von oben kommend auf. Es ist durchaus auch als eine bestimmte Form der Erlösung und Befreiung zu erleben. So ergänzen sich beide ‚Substanzen‘ wechselseitig. Insofern war die konkrete Konstellation dieser Ausstellung an diesem Ort, zu dieser Zeit (Herbst), sehr präzise und ein wichtiger Schritt, möglicherweise auch für Fischerhude, auf jeden Fall aber für die Malerin und ihre Bilder, die damit an die geschichtliche Fischerhuder Malerei anknüpfen konnte und diese auf ihre Weise auch ein Stück in die Zukunft bringen konnte.

Roland Wiese 2.11.2019