Der Tod  –  die andere Seite des Lebens

Teil 2

Innen wird Außen- Außen wird Innen

Wenn man heute mit Menschen über den Tod spricht bekommt man häufig als Argument dafür, dass man nichts über den Tod wissen könne zu hören, dass ja noch keiner zurück gekommen sei. Dieses Argument meint, dass es ja keine gesicherte Erfahrungen und damit persönliche Zeugnisse gibt, die über den Tod etwas aussagen können. Gleichzeitig wird damit gesagt, dass die Tatsache, dass ja niemand etwas über den Tod sagen könne, weil eben niemand zurückgekommen ist, dass das beweist, dass eben da dann nichts mehr ist. Man meint also aus einem bestimmten Phänomen, der Einbahnstraße Tod, berechtigt etwas Inhaltliches über den Tod selbst schließen zu können. Dieses Phänomen, es ist noch niemand zurückgekommen, der etwas über den Tod berechtigt berichten kann, wird zwar als Argument gerne benutzt, man vergisst dabei aber, dass diese Position ganz aus der Perspektive des Lebens bestimmt ist. Und man vergisst, dass man es nicht mit einem Bereich des Todes, das Nichts, und einen Bereich des Lebens, das Etwas zu tun hat, sondern dass es Übergangsbereiche gibt, die von beiden Existenzweisen geprägt werden, und die deshalb wie von einer Mitte aus, etwas über beide Richtungen aussagen können. Diese Übergangsbereiche sind durch die moderne Medizin noch vielfältiger geworden, so dass immer unsicherer wird, wann ein Mensch tot ist. Gleichzeitig bleibt aber unklar, was ein Mensch z.B. im Koma erlebt, wenn er nicht nachträglich selbst darüber berichtet, wobei diese Berichte eben sehr unterschiedlich sind, von: man hat gar nichts erlebt bis zu traumartigen Erlebnisweisen, die durchaus die Umgebung, vor allem die Menschen, die mit ihnen verbunden waren,  erlebt haben. Ähnliches gilt ja für die Nah-Toderlebnisse vieler Menschen. Für die, man sei entweder lebendig oder tot, argumentierenden Menschen gelten diese nicht als Beweis für eine nachtodliche Wirklichkeit, weil die Menschen eben nicht ganz tot waren. Für die Menschen, die solche Erlebnisse gehabt haben, wirken sie aber tiefgreifend in ihr weiteres Leben hinein. Man könnte denken, in ihnen hat die Beziehung Tod – Leben sich neu gestaltet. Als ob aus dem Tod heraus, bzw. aus der Nähe des Todes, sich eine neue Lebensziehung ergibt. Auch das wäre als ein Phänomen erst einmal interessant: eine Todes- bzw. Nahtoderfahrung wirkt verlebendigend und erneuernd in die Lebenswirklichkeit der Menschen hinein.

Im ersten Teil dieser Betrachtung haben wir uns mit einem konkreten Phänomen der Trauer beschäftigt mit der Schwärze als geistigem Schatten des Todes. Dieses Phänomen der Schwärze, oder auch der tiefen Nacht, verlangt eine bestimmte Bewegung von den Menschen, die im Leben stehen – es ist gewissermaßen die umgekehrte Bewegung zu den Nahtoderlebnissen. Dort wird berichtet, dass man ein sehr persönliches und seelisches Licht(Wärme)-Erlebnis haben kann, dass dann im Leben weiterwirkt als neue Lebenskraft. Hier, in der Schwärze, wird von dem lebenden Menschen selbst gefordert, eine solche neue Lebenskraft aufzubringen angesichts der Schwärze und des Nichts des Todes eines anderen Menschen. Wenn man mit beiden Situationen etwas intensiver umgeht, kann man bemerken, dass beide Seiten sich wie die Innen- und die Außenseite einer ähnlichen Wirklichkeit zeigen. Die Lichtseite und die Finsternis der Nacht zeigen sich je nach Perspektive als Innenbewusstsein und als äußere Umgebung. Der Verstorbene (bzw. der Nahtod-Erlebende) ist selber die Finsternis und erlebt die Lichtwirkung von außen; der lebende Angehörige erlebt die Schwärze und das Nichts als Außenwirkung in seinem Inneren, und muss nun den Lichtteil selbst aufbringen. Beim Letzteren wirkt im Leben die Schwärze als Entwicklungskraft im Auslöschen des gewöhnlichen Lebens, bei Ersterem ist das gewöhnliche Leben schon ausgelöscht und die Lichtwirkung wirkt als Entwicklungskraft bei der Rückkehr in das gewöhnliche Leben.

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Ich-Entwicklung begleiten

Nächsten Sonntag haben wir ein nächstes Treffen unserer Arbeitsgruppe ‘Ich-Entwicklung begleiten’. Im Vorfeld habe ich folgende Stelle aus dem Buch ‘Die Erwartung der Engel’ durch Zufall gefunden. Sie konkretisiert m. E. sehr genau wie sich die Ich-Frage im sozialen Geschehen zeigt. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, was aktuell im Zeitgeschehen komplett falsch läuft! R.W. 1.5.2022

Zentrales Ich und peripheres Ich im sozialen Prozess (Der Titel ist von mir)

“Denken und Lebensprozess begegnen sich in Bereichen zwischenmenschlicher Gestaltung, wenn eine geistige Ausrichtung auch zur sozialen (und seelischen) Grundlage von menschlicher Beziehung wird. Das bedeutet einerseits, dass die eigene geistige Ausrichtung sozial wirksam wird, und andererseits, dass die zwischenmenschlich wirksame Kraft dem Denken zugänglich wird. Die Schwierigkeit lässt sich vergleichen mit dem Problem, das eigene Gedankenleben gefühlsfähig zu gestalten und die eigenen Gefühle gedankenfähig zu halten; allein die Intention ist nicht ausreichend. Für einen solchen wechselseitigen Prozess, sondern es muss eine Lebenshaltung hinzukommen, die ihn ermöglicht. Der Gedanke darf das Gefühl nicht bestimmen und das Gefühl nicht den Gedanken. Im ersten Fall wird das Seelenleben überformt und ausgehöhlt, im zweiten Fall kann sich keine geistige Individualität, sondern nur <<gedachte>> Bedürfnisnatur entwickeln.

Für den zwischenmenschlichen Bereich bedeutet dies: Die geistige Individualität umfasst auch den anderen Menschen, und der andere Mensch umfasst auch meine Ich-Individualität. Wirke ich nur bestimmend auf den anderen Menschen, so kann mir der Ich-Prozess nicht von außen entgegenkommen, und ich überforme meine Umgebung. Stelle ich mich vollständig auf den anderen ein, so werde ich zur Wirkung äußerer Kraft und ich werde mich verlieren. Die Frage, die Erzengel-Wirksamkeit verdeutlichen kann, lautet deshalb (wiederum aus der Perspektive des Geistselbst oder des früheren Engels gestellt): Wie kann eine Menschenbegegnung so stattfinden, dass ich mir selbst in dem anderen begegne und der andere sich selbst in mir begegnet? Wir kann mir aus dem anderen mehr von mir selbst entgegentreten, als ich in mir zur Zeit spüre, und wie kann ich dem anderen etwas geben, was er in sich zur Zeit selbst nicht realisieren kann?

Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie wird gleichsam verflüssigt. (Hervorhebung von mir)Ich habe nicht mehr nur das Gefühl, dass ich in mir selbst, in meiner Leibes- und Seelenorganisation stecke; ich habe außerdem nicht mehr das Gefühl, dass außerhalb meiner Selbst nur Nicht-Ich existiert. Ich bin nicht mehr mit mir, wie ich in mir stecke, identifiziert, sondern ich bemerke, was mir von mir selbst von außen zukommen kann. (…)

(…) Denn es kann ja nicht darum gehen zu meinen, das Fremde wäre mein Eigenes oder das eigene Innenbewusstsein könnte für den anderen Menschen ich-fähig sein. Vielmehr gilt es gerade im Erleben des Fremden bemerken zu können, was zu mir gehört und wogegen ich mich eher abgrenzen muss. Gleichzeitig soll sich die eigene Außenwirkung durchaus so gestalten, dass sie von der Ich-Individualität zeugt – aber gerade in der Authentizität des Ich dem anderen vielleicht einen Erfahrungsbereich eröffnen kann, in dem er in einem Nicht-Ich sich selbst wiederentdeckt.

Dieser Vorgang ist grundverschieden von dem, der in der Psychologie mit dem Begriff ‚Identifikation‘ belegt wird. Denn es ist ein geistige, nicht ein seelischer Vorgang gemeint, in dem sich der Geist nicht an die Grenzen der individuellen Leibesorganisation gebunden fühlt, aber den Organismus doch als Träger der eigenen Ich-Fähigkeit erlebt. Kennzeichen für die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehung im Sinne des Erzengel Michaels ist nun, dass diese Prozesse sich in der Begegnung von Ich-Individualitäten vollziehen, der bewussten Gedankenbildung zugänglich sind und unter Ausschluss älterer Prinzipien der Gemeinschaftsbildung. Nicht gabrielische Vererbungs- und Blutskräfte aus Familien- und Nationalitätszusammenhängen, nicht abstrakter Rechtsprinzipien oder <<übergeordnete>> Bedingungen etwa einer Familien- oder Staatsform bestimmen den Umgang von Menschen, sondern diejenige Kraft, die aus dem Erleben der Ich-Individualität im Denken (an der Grenze von Bewusstsein und Sein) entsteht.”

(Wolf-Ulrich Klünker, Die Erwartung der Engel, 2003, S. 138 ff.)