Was ist Farbe
Forschungswege mit Farbe -Werkstatt: Horstedt, 2.- 5. August 2015 in Horstedt
Johannes Onneken
Es sind fünf erfahrene Maler(innen) und gleichzeitig auch Forschende mit der Farbe, die sich zur gemeinsamen Arbeit im Atelier von Elfi Wiese getroffen haben. Jasminka Bogdanovic und Johannes Onneken aus Basel, Rüdiger Mövens aus Aerö (DK), Wolfgang Voigt aus Hannover und Elfi Wiese aus Horstedt. Roland Wiese ergänzte die Gruppe mit seinen menschenkundlichen Fragen zur Farbe. Das Treffen war ein dritter Schritt auf diesem gemeinsamen Forschungsweg, ein erster Schritt war eine gemeinsame Werkstatt in Basel (Jasminka Bogdanovic, Johannes Onneken, Elfi Wiese, Roland Wiese und Wolf-Ulrich Klünker). Dort wurde im Atelier der Baseler Maler ausgestellt, es gab verschiedene Veranstaltungen zu den Bildern und auch eine seminaristische Einheit mit Wolf-Ulrich Klünker zum Zusammenhang von Ich-Entwicklung und Farbempfindung. Dort wurde auch ein nächster Schritt für ein Farbkolloquium in Eichwalde (Berlin) in der DELOS-Forschungsstelle verabredet, das dann im Mai letzten Jahres stattfand. In diesem Jahr fand das Treffen dann in Horstedt statt, und im nächsten Jahr soll es in Aerö bei Rüdiger Mövens weitergehen.
Die beteiligten Maler und Malerinnen bringen in die Arbeit langjährige Erfahrungen im Umgang mit der Farbe mit. Sie arbeiten als Therapeuten, wie Wolfgang Voigt, Rüdiger Mövens und Elfi Wiese, oder haben große Ausstellungen in Dornach und Järna zu Goethes Farbenlehre entwickelt und organisiert wie Jasminka Bogdanovic und Johannes Onneken. Letztere arbeiten auch als Dozenten und Lehrer im Bereich Malerei und Kunst. Rüdiger Mövens hat eine Kunsttherapeuten Ausbildung in Dänemark aufgebaut. Man kann sagen, die praktische und auch die geisteswissenschaftliche Arbeit mit der Farbe prägt ihr Leben. Auch die Zusammenarbeit miteinander in verschiedenen Projekten und Fortbildungen verbindet die Teilnehmer seit langem (so z.B. seit 27 Jahren die Sommerwerkstatt in Bad Bevensen). Inhaltlich konzentrierte sich die die Arbeit darauf zu verstehen, was die Farbe eigentlich heute für eine Funktion für den Menschen hat. Dabei tauchte immer wieder die Frage auf, inwiefern Farbe ein subjektives, individuell erlebtes Phänomen und inwiefern sie ein objektives, gesetzmäßiges Phänomen ist. Hintergrund der Diskussion waren natürlich die Farbuntersuchungen Goethes, Steiners und einiger Künstler (wie Josef Albers und Josef Beuys), auch die wissenschaftlichen Entwicklungen des 19. und des 20. Jahrhundert wurden mit einbezogen. Zentrale Frage wurde aber immer mehr die Übergänglichkeit zwischen dem Erleben der Farbe und ihrer, weniger bewussten, Lebenswirkung: Einer Lebenswirkung im Organismus des Erlebenden, aber auch einer belebenden Wirkung im Verhältnis zur Natur.

Rudolf Steiner hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Übergang von sinnlicher Wahrnehmung und dem entsprechenden Denken in die Lebenswirklichkeit den Engeln zugeordnet. In der 17. Klassenstunde soll der Mensch die Gedanken der Engel als Farben atmendes Leben empfinden. Durch diese Tätigkeit wird der ‚tote Sinnenschein‘ der Menschen belebt. Die Engel veratmen das Wahrnehmen und Denken des Menschen als farbiges Leben. Sie können dann von den nächsthöheren Hierarchien zur Substanz vertieft werden. Die Farbe kann sowohl als Oberfläche verortet erscheinen, wie auch zu einer Empfindung werden, die sich lebenswirksam vertieft. Die Erscheinungsweise der Farbe scheint immer mehr vom Menschen selbst abzuhängen. Für Wolf-Ulrich Klünker stellt sich deshalb die Frage, ob heute die Menschen diese ‚Veratmung‘ der eigenen Gedanken immer mehr selbst vornehmen müssen. Im Farbkolloquium in Eichwalde hatte er auf die, ja nicht sichtbare, Zusammenhangsbildung des Denkens hingewiesen, die erst bestimmte Wahrnehmungen und damit bestimmte Empfindungen ermöglicht. Der Mensch muss erst eine eigene übersinnliche Tätigkeit, also das eigene Denken im umfassenden Sinne, aufbringen, damit aus der sinnlichen Erscheinung der Farbe eine Empfindung wird, die dann diese Erscheinung ‚veratmet‘. Kann nicht auch der schöpferische und übende Umgang mit Farbe und Form (in der Malerei) als eine solche gesteigerte Denktätigkeit verstanden werden? Und wären der Sinn und die Funktion der Kunst, und insbesondere der Malerei, dann möglicherweise immer mehr in ihrer (veratmenden) Lebenswirkung zu sehen? Das Malen eines Bildes, das Anschauen eines Bildes wäre also nicht beendet mit dem Erkennen, sondern würde sich als (neue)Substanzbildung im Leben fortsetzen. Dies würde wiederum auch neue Empfindungen und Wahrnehmungen ermöglichen.
Die Vertiefung der Farbempfindung in das Leben beinhaltet den Übergang von der Oberfläche, der zweidimensionalen Wirklichkeit in den Empfindungsraum. Die Farbe ist auch hier wieder Grenzphänomen zwischen Außen und Innen, Subjekt und Objekt, Fläche und Raum. Sie enthält zwei Bewegungsrichtungen und damit auch zwei Erscheinungs- bzw. Wirkungsweisen. Richtet sie sich nach außen erscheint sie an der Grenze des Durchsichtigen (wie es bei Aristoteles heißt) als sichtbare Farbe. Sie ist ja das einzig Sichtbare und das einzige Sehbare. Steiner schildert in der 17. Klassenstunde eine doppelte Bewegungsrichtung: Indem sich der Engel der nächsthöheren Hierarchie zuwendet erhält er die Lichtkraft den toten Sinnenschein zu Farbe zu veratmen. Die Verstärkung der ‚durchsichtigen‘, nicht sichtbaren Kraft des Lichtes löst die toten Gedanken, und den toten Sinnenschein wieder auf in Farbe, in farbiges Atmen, in farbiges Empfinden und Leben. Dieser Zusammenhang weist darauf hin, dass die passive Rezeption der Farbe immer mehr von der aktiven Produktion eigener Zusammenhangskraft abhängig wird. Die scheinbar spätere passive Wahrnehmung der Farbe, ist einer früheren Tätigkeit geschuldet, die mit dem Farberleben nicht direkt zusammenhängen muss. Das Empfinden wird durch die verstärkte eigene Denktätigkeit feiner. Diese Verfeinerung wirkt nach außen und nach innen, in die Wahrnehmung und in die eigene Atmung und damit in das Leben des Organismus hinein.

Roland Wiese schilderte dann einen Zusammenhang, den Rudolf Steiner 1925 in seinem Buch ‚Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst‘ skizziert hat. Die im Organismus unter Einwirkung des Ich sich bildende Empfindungssubstanz und die Substanz, die das Denken trägt, werden während des Wachens aus dem Organismus herausgehoben. Im Wachen dienen diese Substanzen dem Ich und Astralleib für ihre Tätigkeit (des Denkens und Wahrnehmens). Während auf den physischen und ätherischen Organismus die von der Erde ausstrahlenden und die in sie einstrahlenden Kräfte wirken, werden diese Kräfte von außen durch den astralischen Leib und die Ich-Organisation (mit ihrer Tätigkeit des Wahrnehmens und Denkens) ergriffen. Was der Mensch denkt und wahrnimmt verbindet sich mit den kosmischen und irdischen Kräften zu einer neuen Substanz. Die Formung dieser Kräfte durch Ich und Astralleib erfolgt von außen. Was wahrgenommen wird und gedacht wird, wird durch die Verbindung mit den kosmischen und irdischen Kräften (am jeweiligen Ort) mehr als nur ein Bewusstseinsphänomen, es wird real wirkende neue Substanz. Im Schlaf ist das Wahrnehmen und Denken unterbrochen, Ich und Astralleib wirken nicht mehr von außen auf diese Kräfte. Jetzt wirken von außen nur noch die irdischen und kosmischen Kräfte auf den physischen und ätherischen Organismus. Die im Wachen gebildeten Empfindungssubstanzen wirken stattdessen im Schlaf von innen. Astralleib und Ich-Organisation stellen sich im Wachen zwischen physischen und ätherischen Organismus und die auf sie einwirkenden Kräfte und modifizieren und individualisieren sie. Äußere Betätigung wird im Schlaf dann zu einer den Organismus von innen ergreifenden substantiellen Wirkung. Was tagsüber beispielsweise Atmung von Sauerstoff ist und gleichzeitig mit dem Wahrnehmen und Denken verbunden ist, wird nachts im Schlaf Substanzwirkung von innen. Es formt und modifiziert den Organismus gemäß der Tätigkeit des Astralleibes und des Ich (Heilung, Lernen, Entwicklung sind so als geistig- leibliche Vorgänge im Schlaf denkbar).

Der Übergang der eigenen Denkkraft (Lichtkraft) in das Sehen, und damit in die Farbwahrnehmung, macht diese immer abhängiger von der menschlichen Ich-Form. Die (Farb)Wahrnehmung erscheint zwar immer noch als Rezeption, ist aber in Wirklichkeit immer mehr Ich-Produktion. Dies bleibt nicht ohne Folgen für die Farbwahrnehmung. So spaltet sie sich auf in eine immer ‚lautere‘ Farbigkeit als Voraussetzung dafür, dass überhaupt noch etwas Farbiges wahrgenommen wird, und auf der anderen Seite in eine immer stärkere Reduktion und Verfeinerung. Man kann also eine Physifizierung und eine Ätherisierung der Farbe bemerken. Bei der Physifizierung der Farbe, wird diese immer flacher: immer mehr Farbe wird immer weniger erlebt – das Farberleben tendiert zum Grau (ohne dass dies noch bemerkt werden muss). Bei der Sensibilisierung und Ätherisierung der Farbe wird das Grau (die Abstufungen von Licht und Finsternis) immer farbiger. Also weniger Farbe (Farbe also schon im Übergang zur Form)wird tiefer erlebt.
Eine solche Reduktion und eine stärkere Ich-Formung der Farbe konnte auch in den Bildern der Maler wahrgenommen werden. In der nachmittäglichen gemeinsamen Betrachtung der Bilder wurde deutlich, dass die Farbe in diesen Bildern eine neue Funktion bekommt. Sie bildet nicht einen Inhalt ab, sondern sie wird zu einer Empfindungs- und Lebenswirkung in der jeweiligen Formung durch den Maler, bzw. die Malerin. Sie wird zu einem Formelement des Ich des jeweiligen Malers. Die unterschiedlichen Forschungsinteressen des Malers zeigen sich dann auch in den Bildern. Wenn man wie Johannes Onneken beispielswiese an dem Verhältnis von Dunkelheit und Farbentstehung interessiert ist, zeigt sich dies in den Bildern in einer starken Reduktion des Farb- und Formeinsatzes, wenn man wie Elfi Wiese das Verhältnis von Farbe, Substanz und Bewegung untersucht, zeigen sich ganz andere Bildwirklichkeiten und Bildwirkungen. Bei Jasminka Bogdanovic wiederum wurde Farbe im Portrait zu Vermittlerin des lebendigen Blickes des Porträtierten, während Wolfgang Voigt verstärkt den Klangcharakter der Farben heraus – und hineinarbeitete. Man konnte deutlich bemerken, dass die Betrachtung der Bilder weniger eine inhaltliche Wirkung hat, in dem Sinne dass irgendwelche Bewusstseinsinhalte dadurch produziert wurden, wie das bei gegenwärtiger Kunst oft der Fall ist, sondern dass die Bilder und die Farbe eine anregende und sensibilisierende Wirkung haben. Als Farbe, also als das eigentlich Sehbare, in der Verbindung mit der Tätigkeit der Maler im Malprozess, regt die Betrachtung das eigene Sehen und Denken als individuellen Lichtprozess an. Die Bilder können so die eigene Licht- und farbschaffende Tätigkeit der Seele stimulieren, und so ein anderes Sehen und Empfinden ermöglichen. Sie können insofern zu einer Schule des Sehens werden.
Die Frage der Bildwirkung und der Wirkung des Malens, als einer lebensschaffenden, substanziellen Wirkung muss sicherlich noch weiter bearbeitet werden. Die wiedergegebene Steinerstelle aus dem Buch Grundlegendes deutet ja schon an, das es sich um eine Substanzentstehung aus der Wahrnehmung handelt, also um einen schöpferischen Lebensprozess (nicht um reine Reproduktion). In den bisherigen Treffen konnte dieser Zusammenhang zumindest eine Frage etwas erhellen: Warum bei den beteiligten Malerinnen und Malern, die Verbindung zur pädagogischen, forschenden und therapeutischen Arbeit biographisch gewollt und notwendig ist und war. Gleichermaßen ist die Beziehung zur gegenwärtigen Vermarktung von Kunst (und damit zum gegenwärtigen Kunstbegriff) bisher eher problematisch. Dies wirft natürlich auch immer die Frage nach der eigenen Wirkung auf, und gleichzeitig auch die Frage der ökonomischen Tragfähigkeit der eigenen Arbeit. Für die weitere Arbeit sollen diese Fragen bewusst sowohl in internen Begegnungen, aber auch in öffentlichen Veranstaltungen und Ausstellungen weiter bearbeitet werden.
Roland Wiese , Horstedt
