Überschwarz – Pierre Soulage

Forschungswege mit der Farbe

Foto: Roland Wiese, Museum Pierre Soulage in Rodez

In einem Beitrag zum Thema Farbe habe ich schon über Pierre Soulage geschrieben. (Forschungswege mit der Farbe 3)

Jetzt sind wir in Rodez, wo er in seinem Geburtsort ein Museum mit seinen Werken gestiftet hat und wollen uns seine Bilder einmal hier vor Ort anschauen. In der Nähe befindet sich auch die Kirche in Conques, für die er Fenster entwickelt hat. (kommt auch im Beitrag vor). Pierre Soulage ist letztes Jahr gestorben. Auch das begleitet uns bei unserer Forschungsreise.

Pierre Soulage hat von Beginn an mit Schwarz als Farbe gearbeitet und sie gründlich sich erarbeitet. Aber erst 1979 hat er eine Art Sprung getan in den Raum, den er dann Outrenoir nannte, und den er von da an erforscht und in Präsenz gebracht hat.

Schwarz als ‚Outrenoir‘, Überschwarz…. in den späten Bildern. Schwarz als Ausgangsgrund für Licht, Farben, die sich an den Formen und Kanten bilden.

2009 hat Pierre Soulage in einem Interview mit Hans Ulrich Obrist sich zu ‚Outre-Noir‘ folgendermaßen geäußert: „Was meinen speziellen Gebrauch von Schwarz betrifft, ja. Das war 1979. Ich war gerade dabei, zu malen. Oder eher – ein Bild zu verhunzen. Ein einziges schwarzes Gekleckse. Ich war unglücklich, und weil ich fand, es seiner Masochismus, daran weiterzuarbeiten, ging ich ins Bett. Am nächsten Morgen habe ich mir das Bild noch einmal angeschaut. Und sah, dass es nicht durch die schwarze Farbe lebendig wurde, sondern durch die Lichtreflexe auf den schwarzen Flächen. Auf den gefurchten Flächen vibrierte das Licht, während es auf den glatten ruhig war. Ein neuer Raum war entstanden. Der Bildraum befindet weder an der Wand wie in der byzantinischen Bildtradition, noch dahinter wie bei perspektivischen Gemälden, sondern im physischen Sinne vor der Leinwand. Das Licht kommt aus dem Bild zu mir, also bin ich selbst im Bild.“ (Diesen Satz finde ich wichtig, weil er keine Deutung des Bildinhaltes ist sondern das Verhältnis zwischen dem Bild und mir entdeckt und präzise beschreibt) „Noch dazu entspringt das Licht der Farbe, die das größtmögliche Fehlen von Licht verkörpert. Ich verfolge diesen Ansatz nach wie vor.

Das Mittel, das sie einsetzen, ist demnach das Licht, nicht die schwarze Farbe?

Genau. Das Licht, das von der schwarzen Farbe reflektiert wird. Ich habe ein Wort erfunden, um dieses Phänomen zu erklären, outrenoir („Überschwarz“).

Wie würden Sie outrenoir im Jahr 2009 definieren?

Es ist mental gesehen, ein anderer Bereich als das einfache Schwarz. Bei Kunst geht es immer um einen mentalen Bereich. Diese „andere“ Raum vor der eigentlichen Leinwand erzeugt eine andere Beziehung zum Raum. Und eine andere Beziehung zur Zeit. Außerdem gibt es dem Werk eine intensive Präsenz. Der Begriff der Präsenz ist in der Kunst absolut wesentlich. Sobald ein Gemälde auf ein Sujet verweis, verliert es an Präsenz. Ein Gemälde muss in dem Augenblick, in dem wir es betrachten präsent sein. Das ist es, was ich so liebe, die Kraft dieser Präsenz.

2007 hat er es noch etwas anders, mehr ‚menschenbezogen‘ formuliert: „Mit dem outrenoir, wird der Betrachter umso ausdrücklicher einbezogen und bleibt stärker mit sich allein. Ich glaube, ich male, damit der Betrachter – ganz gleich, ob es sich dabei um mich selbst oder jeman anderen handelt – vor dieser Malerei allein sein kann.“

Pierre Soulage. Katalog, 2010 Hirmer Verlag, München, S.57 ff. und S.15

Schwarz – Überschwarz: das andere Schwarz

Wenn man vor den Bildern steht, hat man, anders als bei anderen Bildern, tatsächlich ein stärkeres Gefühl des Seins. Man ist da. Nicht im Sinne einer Aufladung oder einem egoistischem Selbstgefühl, mehr im Sinne eines tatsächlichen Hierseins. Es geht anscheinend und seiend nicht mehr um ‚Kunst‘, sondern um etwas anderes: ein anderes Sein. Wobei in Betracht gezogen werden muss, dass sich die Situation des Betrachters von den ersten Bildern 1979 bis heute natürlich weiterentwickelt hat. Die Entwicklung des Ich ist fortgeschritten; im ersten Quartal des 21. Jahrhunderts steht man anders vor den Bildern als die Zeitgenossen 1979. Man könnte es vielleicht so formulieren, heute ist es beinahe normal, oder ein gewisser basaler Ausgangspunkt für den Menschen vor dem Schwarz zu stehen. Und dieses Stehen vor dem Schwarz, oder besser, in dem Raum des Schwarz (und in Rodez sind auch die Räume des Museums schwarz, das verstärkt den beschriebenen Eindruck). Das Stehen im Raum des Schwarz führt das subjektive Erleben nicht in ein verstärktes Erleben am Inhalt des Bildes, sondern in eine Art Inhaltslosigkeit. Da ist nichts zu ’sehen‘! Da ist nur etwas zu schauen und zu erleben, was wenig Gegenständlichkeit als Stütze bietet. Die Wirkung des ‚Überschwarz‘ jetzt darin sehen zu wollen, dass sich ja an der Oberfläche das Licht reflektiert und dies eben diverse Lichteffekte produziert, wie man es vielleicht oberflächlich denken und erleben mag, oder auch aus den Äußerungen Soulages verstehen könnte, wäre zwar nicht ganz falsch, aber nicht hinreichend tief. Ja, es glimmert und glänzt das Licht an den Kanten der schwarzen Farbstrukturen, aber das ist nur der Übergang in einen anderen Raum des Erlebens und Selbsterlebens.

Man kann bei einiger Aufmerksamkeit auf das Geschehen nicht umhin zu bemerken, dass man tatsächlich mit dem Bild und seiner Wirkung ganz individuell und persönlich verbunden ist (ähnlich wie beim Regenbogen). Es verändert sich bei jeder eigenen Bewegung und bei der Veränderung des Lichts. Und gleichzeitig ist es ein objektives Geschehen, in das man da verwickelt ist. Es geht nicht darum, ob einem etwas gefällt oder nicht, oder man ob man etwas kennt, oder nicht. Das von dem Bild und mir als Betrachter erzeugte Geschehen ist objektiv da und ich muss mehr etwas ‚wollen‘, um es mitzuproduzieren und mich in ihm halten zu können. Das Glimmern und Reflektieren des Lichtes ist nur der Anfang einer Bewegung, die weitergehen kann. Eine solche Bewegung kann oder muss vielleicht gar nicht mit dem Bild weitergehen. Sie kann im Leben weitergehen, als ein im Schwarz stehen können, als ein sich bewegen lernen in dem Aufglimmen der Finsternis. Die Bilder sind erste Erfahrungsräume mit einer Finsternis, die inzwischen im 21. Jahrhundert Lebensgrundlage geworden ist.

Eine gewisse Bestätigung des oben Formulierten findet sich auch in der Nachwirkung oder im Nachklang der Bilder. Nach anderen Ausstellungen kommt man oft danach wieder in die normale Welt mit einer Nachwirkung im Sehen. Man sieht anders. Ist sensibler für Farben und Formen, man sieht die ‚profane‘ Welt ästhetischer als vorher. Das geschieht bei diesen Bildern (bei mir) nicht. Was bleibt ist mehr die Erinnerung, bzw. die Verbindung zu einem warmen dunklen Raum als einer Art Heimat. Man ist mehr da, aber nicht ästhetischer, sondern realer, wirklicher. Man kann auch bemerken, dass das normale Sehen des Alltags mehr ein ’sich schützen‘, ein abwehren des Äußeren ist, eine Art zurückschieben. Diese Tätigkeit ist bei den schwarzen Bildern nicht notwendig. Man kann sich ohne Gefahr in diesem dunklen Raum mit den Bildern aufhalten. Es ist keine Außenwelt, es ist keine Innenwelt, jedenfalls nicht mehr so klar unterschieden und getrennt.

Ungefähr 50 Jahre vorher hat Rudolf Steiner in seinen Mantren zur Freien Hochschule eine ähnliche, existentielle Grundsituation als Übergangssituation angesprochen. Dort wird das sich ‚Gewöhnen‘ an die völlig unterschiedlichen Gegebenheiten einer sinnenfreien Welt als Voraussetzung beschrieben, um sich dann in einer solchen Welt auch bewegen zu lernen. Die schwarze Finsternis kann heller werden, aufglimmen, wenn man sich darin hält und beginnt zu bewegen. Steiner prognostiziert 1924 für die Menschheit einen allgemeinen Schwellenübergang, der inzwischen Wirklichkeit geworden ist. Er kann aber nur ‚gesund‘ gelebt werden, wenn auch ein Bewusstsein für die Wirklichkeit der Finsternis entsteht. Das Stehen vor dem Schwarz, im Schwarz kann als eine solche ‚Übung‘ oder auch Bewusstmachung gelten. Insofern hat Pierre Soulage aus dem eigenen jahrzehntelangen Umgang mit dem Schwarz als Farbe, sich eingelebt in die farb- und formlose Wirklichkeit des neuen Schwarz. Seine Bilder, die er ja am liebsten gar nicht als Bilder an die Wand hängt, sondern in den Raum spannt, sind so gesehen reale Schwarz-Situationen.

Roland Wiese, Rodez, 25.5.2023

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