Lebendige Biographiearbeit

Gabriel Prinsenberg und Roland Wiese (Juli 2021)

Am 8. Juli besuchten uns Olga Bohnsack und Gabriel Prinsenberg. Ein Wiedersehen nach 20 Jahren! Mit den Beiden haben wir in den neunziger Jahren eine Ausbildung in Biographiearbeit organisiert. Eine Weiterbildung für Menschen in sozialen Berufen über 2 Jahre. Über hundert Menschen haben damals daran teilgenommen. Anfang 2000 ebbte der Impuls und die Nachfrage bei uns ab und endete dann 2003. Insofern viel gemeinsame Vergangenheit, aber auch eine Lücke von 20 Jahren und dementsprechend war ich einerseits neugierig, andererseits auch unsicher, wie dieser Besuch sein würde. Nachdem Olga und Gabriel Elfis Ausstellung im Museum in Zeven angeschaut hatten, haben wir vom Nachmittag bis spät in die Nacht intensive Gespräche gehabt. Später kamen auch Martina und Andreas Rasch dazu, die die Organisation der Ausbildung in den letzten Jahren übernommen hatten. Nun kann man weder ein Gespräch wiedergeben, noch die Gesprächsatmosphäre in einem solchen Beitrag wiedergeben. Ich werde deshalb versuchen (in Fortführung meines Beitrages zum Schicksalssinn) einige Grundgedanken und Figuren zur Biographiearbeit aus heutiger Sicht zu skizzieren. Dass dabei Gabriel Prinsenberg im Vordergrund steht, ist keine Missachtung der anderen Beteiligten, auch nicht von Olga, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass Gabriel Prinsenberg doch eine Art Repräsentant für die Biographiearbeit im 20. Jahrhundert ist. Dies wurde insbesondere in unserem Nachtgespräch sehr deutlich, in der Gabriel seine eigene Biographie in einer bestimmten Perspektive erzählte. Vielen Dank für dieses Gespräch und euren Besuch!

Mein Vater ist 2017 gestorben. Er ist 1930 geboren. Meine Mutter ist 1935 geboren. Gabriel Prinsenberg ist 1932 in den Niederlanden geboren. Er gehört also zur Generation meiner Eltern. Als wir uns kennenlernten, hatte ich mich durch meine eigene anthroposophische Entwicklung von meiner Herkunftsfamilie noch einmal weiter entfernt. Umgekehrt, stellte Gabriel für mich eine lebendige Verbindung zu der Zeit nach 1930 dar, und dies sowohl biographisch (wie meine Eltern), aber auch geistig-seelisch, was den Bereich der Psychologie und der Sozialarbeit betrifft. Diese (lebendige) Verbindung ist für mich wichtig, weil sie eine Art geistesgeschichtlicher Lücke in mir füllte, zwischen der Freud/Steiner Zeit und der Zeit der neunziger Jahre. Ich habe diese Lücke, vor allem die sechziger und siebziger Jahre betreffend, später noch in meiner Supervisionsausbildung für die humanistische Psychologie ausfüllen können. Gabriel bezeichnet seinen eigenen Ansatz in der Biographiearbeit als ‚ekklektisch‘. Das heißt er knüpft dezidiert an einige Psychologen an, die für ihn eine Art Ausgangspunkt für seine Arbeit bieten konnten. Er nennt immer wieder Charlotte Bühler, aber auch Alfred Adler (als jemanden, der das Leben nicht aus der Vergangenheit bestimmt sieht, sondern den Zukunftsbezug im Blick hat, und auch und vor allem Viktor Frankl, der wiederum als einer wenigen die Zeit der 30er und 40er Jahre in seiner Psychologie einbezogen hat und damit die Existentialität dieser Zeit in die Psychologie und Psychotherapie aufgenommen hat. Eine Art Bindeglied zwischen diesen Psychologen und der Anthroposophie war für Gabriel Bernhard Lievegoed, der mit seinen Büchern, vor allem, ‚Der Mensch an der Schwelle‘, aber früher noch mit seinem sehr populären Buch: ‚Lebenskrisen-Lebenschancen‘ (1979) die Frage der biographischen Entwicklung angesprochen hat. Man könnte beinahe sagen Bernhard Lievegoed, der in den 70er und achtziger Jahren auf dem Höhepunkt seiner Wirksamkeit war, wirkte indirekt verbindend auf die entstehende gemeinsame Arbeit. Denn auch in unserer ersten Arbeit als Umkreis-Gruppe haben wir uns mit seinem Buch ‚Der Mensch an der Schwelle‘ beschäftigt. Zur Gruppe gehörten damals Menschen mit seelischer Erkrankung und da in Lievegoeds Buch das Thema der seelischen Erkrankungen in Bezug zur menschheitlichen Entwicklung geschildert wird, also als eine problematische geistige Erfahrung, ein Schwellenübertritt, dem man aber nicht gewachsen ist, war das für uns ein interessanter Ansatz des Verständnisses seelischer Erkrankung jenseits der medizinischen Anschauungen. In diesem Kreis haben wir uns auch mit dem Thema der Biographie beschäftigt und sowohl die eigene Biographie wie auch die Biographien von Künstlern gemeinsam studiert. (Ich kann mich heute noch an die Schilderung einer Teilnehmerin erinnern, die sich mit Käthe Kollwitz beschäftigt hatte – vor allem weil die Biographin und Käthe Kollwitz eine ganz bestimmte Ähnlichkeit für mich bekamen).

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Wie Bilder Sinn erzeugen

Forschungswege mit der Farbe

Unsere Forschungswege mit der Farbe haben uns ja schon vor Längerem mit Ute Seifert zusammengeführt. Ute Seifert ist Malerin und betreibt den KUNSTRAUM in Bremen in der Rückertstraße. Wir haben schon einiges gemeinsam unternommen, unter anderem gemeinsame Besuche bei Reimar Jochims im Maintal, Ausstellungen und Bildbetrachtungen. Jetzt hat sie eine kleine Gruppe eingeladen, um an dem Buch von Gottfried Boehm, ‚Wie Bilder Sinn erzeugen‘ zu arbeiten. In einem lebendigen Gespräch haben wir uns durch die Einleitung bewegt. „Der Mensch ist jenes Wesen, das sich ein Bild zu machen vermag.“ (S.10) Können sich Tiere Bilder machen? „Wir sind alle ikonischer Natur.“ Aber das Bild hält uns auch gefangen. Wir leben in einem Bilderleib und in einem Bildeleib. Erst heute können wir die Frage nach ‚dem Bild‘ stellen, sagt Böhm. Erst heute, wo alles zum Bild werden kann, und nicht mehr deutlich ist, was ein Bild ist. „Mit der Entgrenzung hatten die Bilder an Universalität rapide gewonnen, ihre Selbstverständlichkeit aber eingebüßt (S.13)“ „Die Welt wird bis in die Atome hinein zum Bild.“ Und Bilder sind nicht nur Abbilder des Bestehenden, der Welt, Boehm sieht sie als “ eine Macht, imstande unsere Zugänge zur Welt vorzuentwerfen und damit zu entscheiden, wie wir sehen, schließlich: was die Welt „ist“.“ (S.14) Insofern scheint es hochaktuell danach zu fragen, was das Bild ist und wie es zeigt und damit Sinn erzeugt. Während wir immer mehr in der Welt der Bilder leben und auch gleichzeitig in der imaginativen Wirklichkeit, die der Bilderwelt zu Grunde liegt, kennen wir uns mit dieser Welt nicht so gut aus, wie mit der Welt der Sprache und Schrift. Deswegen ist es spannend gemeinsam mit Gottfried Boehm (bzw. seinem Buch) ‚das Bild‘ zu denken…

Roland Wiese 22.7.2021

Der Schicksalssinn

Karma 2

Will man über individuelle karmische Entwicklungen etwas sagen oder schreiben, dann braucht es dafür konkrete Erfahrungen und konkrete Anlässe. Mit Anlässe ist eine Art Anstoß oder eine Begegnung gemeint, die von außen und damit wie objektiv einen Zusammenhang sichtbar werden lässt, der nicht nur persönlich ist, sondern auch eine geistesgeschichtliche Figur beinhaltet. Ein solcher Anstoß kam vor kurzem mit einer Mail von Olga Bohnsack und Gabriel Prinsenberg, die uns darauf hinwiesen, dass wir vor dreißig Jahren, also 1991, das erste Biografie-Seminar von Gabriel im Umkreis e.V. veranstaltet haben. Ich war damals mit Olga auch Teilnehmer dieses ersten Seminars, während Elfi  die komplette Organisation und Durchführung geleistet hat. Aus diesem ersten Seminar hat sich dann eine kontinuierliche Zusammenarbeit entwickelt, die über zehn Jahre währte.  In dieser Zeit entwickelten wir gemeinsam mit Gabriel und Olga aus den einzelnen Seminaren eine Weiterbildung für Menschen in sozialen Berufen, die für viele Menschen eine wichtige Grundlage für ihre soziale und therapeutische Arbeit wurde. Neben den Seminaren mit Teilnehmenden aus ganz Deutschland, entwickelten wir regionale Kleingruppen. Und durch die gemeinsame Ausbildung entwickelten sich viele langwährende Beziehungen unter der den Teilnehmenden. Dies hatte nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die Seminare sich sehr persönlich mit Fragen des eigenen Schicksals beschäftigten und gleichzeitig dieses Schicksal auf seine ihm innewohnenden Kräfte und Gesetze angeschaut wurde. Gabriel Prinsenberg veröffentlichte 1997 sein Buch ‚Der Weg durch das Labyrinth‘  Biographisches Arbeiten Begleitung auf dem Lebensweg. 1999 haben wir im ‚Umkreis‘ ein kleines Büchlein von Gabriel herausgegeben, das den Titel trägt ‚ Die Kunst in den helfenden Berufen‘. Damals schrieb ich im Vorwort:“ Der Umkreis e.V. leistet Sozialarbeit – wie begleiten Menschen mit schweren psychischen und sozialen Problemen. Aus dieser Arbeit heraus hat sich das Bedürfnis, ja die Notwendigkeit nach weiterer eigener Ausbildung und Forschung in dem Bereich der Kunst des Helfens entwickelt. In unserer so wissenschaftsgeprägten Zeit ist es für uns ein elementares Bedürfnis die Sozialarbeit künstlerisch zu erweitern. Nur so wird sie dem ganzen Menschen gerecht. (…) Es gibt für eine erweiterte Sozialarbeit nur wenig Grundlagenliteratur. Gabriel Prinsenberg hat hier skizzenhaft einiges von dem vorgelegt was in einer solchen grundlegenden Ausbildung für eine anthroposophisch erweiterte Sozialarbeit zu finden sein wird.“

Nach der Jahrtausendwende verlor dieser Impuls (bei uns) an Kraft, und die Seminare endeten. Gleichzeitig begann unsere intensive Zusammenarbeit mit Wolf-Ulrich Klünker und Monika Elbert von der DELOS-Forschungsstelle für Psychologie in Berlin (Eichwalde). Diese fand ihren Niederschlag in unserer eignen Forschungs- und Seminartätigkeit mit dem Schwerpunkt Ich-Entwicklung (und der Mitarbeit an dem Buch ‚Psychologie des Ich‘). Anlass genug einmal aus heutiger Sicht diesen Zusammenhang in den Blick zu nehmen. Dies kann vielleicht auch helfen die eigene Spur und die damit verbundenen Intentionen (auch die des Umkreis e.V.) besser sehen zu können. Denn die Frage nach der (freien) Begleitung von Menschen auf ihrem Lebensweg und in ihrem Leben ist immer noch unsere Intention. Unsere Fachstelle ‚Maßstab Mensch‘ ist die aktuelle Realisierung dieser Intention. Die Frage nach der Psychologie des Menschen oder des Ich konkretisiert sich deshalb bei uns auf die Frage nach den psychologischen Grundlagen einer Sozialarbeit, die real in der Schicksalssphäre wirksam wird.

 

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Biographiearbeit und Karma

Beginnen wir am Ende: Uns hat damals die Frage nach dem roten Faden in der eigenen Biografie in die Frage geführt, wie denn in der eigenen Biografie das eigene Karma zu erkennen ist. Also die Frage nach dem Aufwachen im eigenen Leben hat zu der Frage nach den Kräften und Formen geführt, die dieses Leben gebildet und geformt haben. Das Ende der Biographiearbeit war für uns, die wir diese Ausbildung durchlaufen und auch mitgestaltet haben, der Anfang unserer Karma Forschung. Von der Wirkung, vom Ergebnis her geschaut, hat unsere Biographiearbeit uns auf die Spur unserer weiteren Schicksalsentwicklung gebracht, weniger, wie wir uns vorgestellt hatten, erkennend, als vielmehr wirkend. Dazu passt auch, dass unsere Versuche, die Karma Forschung direkt an die Biographiearbeit anzuknüpfen erst einmal vollständig scheitern mussten. Sowohl die Seminare, die damals besucht wurden, wie auch eigene Versuche einen Weg zu finden, führten immer in eine Sackgasse, weil wir bemerkten, dass die Art der Forschung dem Gegenstand nicht angemessen war.

Erst die über zehnjährige intensive Zusammenarbeit mit Wolf-Ulrich Klünker in dem Forschungskreis zu Therapiefragen (ab 2003) mit vielen Wochenendtreffen und Seminaren, hat diese Frage einlösen können. Das Buch ‚Die Empfindung des Schicksals – Biografie und Karma im 21. Jahrhundert‘ , von Wolf-Ulrich Klünker 2011 veröffentlicht, bezeugt diese Einlösung. „Selbsterkenntnis und Schicksalserkenntnis gehören heute eng zusammen. (…) Ich brauche mich selbst in der Fülle meines irdischen Seins, um mich geistig begreifen zu können. Und gleichermaßen: Ich selbst als geistiges Wesen kann mir der Wirklichkeit, die auch jenseits der Schwelle gilt, nur bewusst werden, wenn ich von meiner irdischen Lebensseite alle Höhen und Tiefen, alle Chancen und Gefahren , alle Hoffnungen und Ängste miteinbeziehe.“ (S.7) Und im Klappentext heißt es: „Das Ich kann heute für die Wirklichkeit des Schicksals erwachen. In der Biografie verbinden sich Bewusstsein und Leben zu einer Empfindung karmischer Realität. In dieser Schicht des Erlebens findet Anthroposophie ihre Form für das 21. Jahrhundert“. Meine grundlegende Empfindung für diesen ‚Weg‘ würde ich so kennzeichnen: Angekommen! Man könnte es auch die Erfüllung einer Bewegungsintention nennen. Wobei diese Erfüllung, dieses Angekommen sein natürlich sogleich zwei Seiten hat: Ja, du hast ein Ziel erreicht, aber was nun? Es trat tatsächlich mit der Erfüllung einer bestimmten ‚Suche‘ ,mit dem Ankommen im eigenen Schicksal, das neue Problem auf, dass anscheinend (zumindest aus heutiger Sicht betrachtet) kein weiteres Ziel intrinsisch veranlagt war. So dass mit dem Erreichen dieses Zieles das ‚neue‘ Gefühl, eine neue ‚Empfindung‘ auftrat und immer noch auftritt, dass jeder nächste Schritt nicht mehr ‚abgesichert‘ ist und völlig offen ist. Während vorher der Weg tatsächlich ein Weg durch das Labyrinth der eigenen Biografie war, und das Gehen durch das Labyrinth ein Dranbleiben an einer Art innerem roten Faden bedeutete – gegen alle äußeren Ablenkungen und Behauptungen der Außenwelt, ähnelt der jetzige Weg eher einem Weg durch die Wüste. Kein Labyrinth, kein Weg, kein roter Faden usw. Weiterlesen