Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn – Teil 7

Teil 7

 

„Außenwelt im Erdenleben ist geistige Innenwelt im außerirdischen Leben“[1]

(Dieser Teil fußt im Wesentlichen auf Forschungsergebnissen Wolf-Ulrich Klünkers, die in verschiedenen Forschungszusammenhängen, Seminaren und Büchern veröffentlicht wurden.)

Ausgangspunkt für eine Klärung des Verhältnisses zwischen Innen und Außen, ein Verhältnis, das in dieser Weise erst einmal nur für den Menschen existiert, ist die Frage, was ist eigentlich das jetzige Innen des Ich und was ist das jetzige Außen des Ich? In der so gestellten Frage liegt schon, dass sowohl Innen wie Außen zum Ich gehören. Subjekt und Objekt. Das Erleben einer Wiese und die Wiese? Wie hängt Innen mit Außen zusammen? Eine wesentliche Frage der aristotelischen Psychologie und in der Folge auch bis ins Mittelalter hinein war, wie sich die Seele verhält, wenn sie von dem Körper getrennt ist. Denn die Grunddefinition der Seele war in dieser geistesgeschichtlichen Linie eindeutig: anima forma corporis! Also: Die Seele ist die Form eine lebendigen Leibes. Verlässt die Seele den Körper, verlässt auch das Leben den Körper und der Körper zerfällt. Das genaue Verhältnis der Seele zum Körper war und ist eine der schwierigsten anthropologischen Fragen. Eines ist nur für diese Wissenschaftsrichtung klar gewesen: Wenn die Seele wesenhaft darin besteht, Form eines lebendigen Körpers zu sein, kann sie nach einer Trennung nur mitaufgelöst werden, oder sie muss in anderer Form in Bezug auf einen Körper hin tätig sein.

Rudolf Steiner hat diese Fragestellung explizit im ‚Heilpädagogischen Kurs‘ 1924 aufgegriffen und weiterentwickelt. Für ihn wird aus dem irdischen Seelenleben nach dem Tod ein nachtodliches Seelenleben, das dann wiederum ein vorgeburtliches Seelenleben wird. Damit wird zuerst einmal die offene Frage des Mittelalters, was aus der Individualität wird, wenn sie stirbt – dort wurde von Thomas von Aquin ja nur die Unsterblichkeit der Individualität begründet, aber nicht was nachtodlich dann weitergeschieht, bzw. die Umkehrung ins Vorgeburtliche war zu dieser Zeit noch nicht denkbar, diese offene Frage wird beantwortet. Die irdische Seele ist nach Verlassen des Leibes nicht aktuell Form eines lebendigen Körpers, sondern nur noch potentiell, und sie wird dies wieder aktuell in der vorgeburtlichen Situation, indem sie sich mit einem lebendigen irdischen Körper verbindet, oder sich einen solchen aufbaut.

Im ‚Heilpädagogischen Kurs‘ wird dieser Durchgang des Seelischen gebraucht, um darzustellen wie sich das Geistig-Seelische vorgeburtlich und in der frühen Kindheit leibgestaltend betätigt und damit erst ein Seelisches hervorbringt, das sich dann an diesem hervorgebrachten Leib spiegeln kann. So dass das normale Bewusstsein einerseits eine Art Endpunkt der Leibwerdung des vorgeburtlichen Geistig-Seelischen einer Individualität ist, andererseits auch nur einen Teil dieser Individualität darstellt. Gleichzeitig ist es aber wieder auch der Anfangspunkt einer Entwicklung, denn es hat den Bezug zu seiner ursprünglichen Kraft (die es hervorgebracht hat) nicht verloren. Wie die Seele den Durchgang durch das Nachtodliche ins Vorgeburtliche gestalten kann, hängt maßgeblich von ihrem Erleben im irdischen Leben ab (Das irdische Leben wird also zunehmend bestimmende Form des außerirdischen Lebens). „Außenwelt im Erdenleben ist geistige Innenwelt im außerirdischen Leben“. Das bedeutet, dass das, was die Seele im irdischen Leben erlebt, im Nachtodlichen zu ihrer Innenwelt wird. (Eine ähnliche Formulierung wurde von Wolf-Ulrich Klünker auch schon in einigen mittelalterlichen Texten von Albertus Magnus gefunden). Wir haben ja oben schon darauf hingewiesen, dass jede Wahrnehmung eine Berührung mit der Außenwelt ist und gleichzeitig eine Selbstberührung einer bestimmten Wirklichkeit des eigenen seelischen Organismus. Bleibt die Seele ohne diese Wahrnehmungen, kann sie diese (unbewusste) Eigenkenntnis des Organismus nicht entwickeln, und sie ist dann, wenn ihr die äußeren Wahrnehmungen fehlen, wie blind und taub für die geistig-seelischen Qualitäten der außerirdischen Welt. Das heißt die Tätigkeit der Sinnenseele (anima sensitiva) im irdischen Leben führt nicht nur zu Sinneserlebnissen des Bewusstseins, sondern diese werden zukünftig lebenswirksam, wenn diese Erlebnisse selbst vergangen sind. Sie werden zur Form eines neuen Leibes, nachdem sie im Nachtodlichen (Außerirdischen) sich die ihnen mögliche Kenntnis der Leibbildung angeeignet haben.

Ein weiterer Schritt ist nötig, um zu verstehen, was aus der Innenwelt wird. Ein gewisse Überkreuzung scheint naheliegend: Außenwelt wird Innenwelt; Innenwelt wird Außenwelt. Die äußere Objektivität wird nachtodlich nach Maßgabe ihrer Wahrnehmung (außerirdisch) Subjekt, die innere Subjektivität wird im gleichen Zuge  nach Maßgabe ihrer Realitätstauglichkeit objektive Wirklichkeit. Das bedeutet, das was ich an Denkzusammenhängen im irdischen Leben gebildet habe, wird zu objektiven Außenwelt nachtodlich. Es handelt sich um eine vollständige Umdrehung der Erdenverhältnisse des Bewusstseins. Wolf-Ulrich Klünker hat den Sinn dieser anthropologischen Figur in der dadurch möglichen Entwicklung für beide Anteile des Ich gesehen. [2] Die scheinhafte Bewusstseinsseite vertieft sich in die existentiellere Dimension des Lebens. Die (unbewusste) Konstitutions- und Schicksalswirklichkeit hebt sich ins Bewusste. Beide stehen sich wie umgekehrt gegenüber und berühren sich neu!

Das bedeutet für das Ich: Es gibt keine lineare Fortsetzung über den Tod hinaus. Das Ich steht in seiner Entwicklung  sich selbst gegenüber in Entwicklungsmöglichkeit und Entwicklungsrealität. Das Leben (die Außenwelt) setzt sich nicht linear fort; das Bewusstsein (die Innenwelt) setzt sich nicht linear fort. Inneres wird Äußeres; Äußeres wird Inneres. Der Entwicklungsbegriff des Ich ist mit dieser Umwendung notwendigerweise verbunden.

22.7.2018

Im achten Teil werde ich diese Entwicklung für die gegenwärtige Situation des Ich und der Sinneswahrnehmung weiterführen.

 

 

 

 

 

 

 

[1] Steiner, R., ‚Heilpädagogischer Kurs‘ GA 317, S. 21

[2] W. U. Klünker, ausführlich in Empfindung des Schicksals, Stuttgart 2011

Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn – Teil 6

Teil 6

Inneres und Äußeres

Will man verstehen wie Ich und Tasten zusammenhängen, muss man sich intensiver mit dem Verhältnis von Innen und Außen beschäftigen. Das Tasterlebnis besteht ja aus dem Effekt, dass ein Inneres ein Äußeres als Grenze erlebt. Dieses Erlebnis ist insofern existentiell, dass es dem Inneren ein Erlebnis des eigenen Seins vermittelt. Rudolf Steiner schreibt in seinem Buch ‚Anthroposophie‘ (Ein Fragment), dass das Ich im Wahrnehmen (aber auch im Denken) sein Erleben nach allen Seiten entfaltet. „In diesem Erleben kann es sich nicht selbst erleben. Es muss sich zum Selbsterleben sein eigenes Erleben entgegenstellen. Es stellt sich selbst als Empfindung sich entgegen.“[1] Man kann also von einem noch nicht bewusstseinsfähigen Erleben ausgehen, das sich nach allen Seiten entfaltet. Indem ihm nun die Sinneserlebnisse „entgegenwachsen“ wird aus diesem sich entfaltenden Erleben eine Art „Ich-Organismus“. Das Ich wird erlebbar und dauerhafter. Das was das zentrale Ich-Erleben des Menschen ausmacht ist also zweierlei, das sich Entfalten eines geistig-seelischen Erlebens und das diesem Entfalten entgegen Kommende der Sinneswahrnehmungen. „Es ergibt sich daher ohne weiteres, dass das menschliche Ich-Erleben ein solches ist, dass aus einer übersinnlichen Welt fließt, aber erst wahrgenommen werden kann, wenn es sich einwurzelt in einen Organismus, der in sich ein Gefüge ist von Ich-, Begriffs- und Lautorganismus.“ (S.191). Rudolf Steiner sieht im Begriffssinn den obersten der Sinne, in ihm liegt die Möglichkeit Begriffe als Äußerung des Innersten eines Wesens wahrzunehmen. „Ein weiteres Untertauchen in ein anderes Wesen als bis zur Empfindung dessen, was in ihm als Begriff lebt, ist nicht auf sinnenfällige Art möglich. Der Begriffssinn erscheint als derjenige, der in das Innerlichste eines Außenwesen dringt.“ Im nächsten Satz kommt dann wieder die Wendung auf den Wahrnehmenden, der in der Wahrnehmung sein eigenes Inneres erlebt: „Der Mensch nimmt mit dem Begriffe, der in einem anderen Menschen lebt, dasjenige wahr, was in ihm selbst seelenhaft lebt.“ Ein sehr wichtige Beobachtung für eine realistische Psychologie. Indem ich den anderen Menschen in seinem in ihm lebenden Begriffswesen wahrnehme, komme ich auch zu einer (Selbst)Wahrnehmung meines in mir lebenden Begriffswesen! Wir haben hier das Was-Erlebnis des Ich. Und dieses fällt noch unter die Sinneswahrnehmungen! Weiterlesen

Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn

Teil 5

Das Tasten des Ich

Das Tasten als Berührung von etwas anderem und als gleichzeitige Selbstberührung ist in vielfältigen Variationen schon angesprochen worden. Um aber zu verstehen, wer da was oder wen berührt, muss man noch einige Gesichtspunkte hinzunehmen. Etwas formelhaft kann man erst einmal bemerken, dass die äußere Wahrnehmung, oder die Wahrnehmung von äußeren Dingen nicht darin besteht, dass der äußere Wahrnehmungsgegenstand, bspw. der Stein, oder die Rose mit seiner Körperlichkeit in mich übergeht. Diese Art des Wahrnehmens ist eher lichthafter, scheinartiger Natur und würde in sich wieder verwehen, sich auflösen, wenn sie nicht durch etwas gebunden würde, das wieder körperlicher Natur ist. Die Lebensprozesse des Organismus, die mit der jeweiligen Wahrnehmung verbunden sind, sind eine solche ‚körperliche‘ Realität, die die Wahrnehmung (meist im Hintergrund des bewussten Wahrnehmens) vom Schein in ein neues Sein überführen. Die eigene Gestaltung im Organismus wird mit der der Empfindung verbunden. [1] Äußere Eindrücke werden so zu inneren Eindrücken, die im Organismus bleibend werden, ja die organischen Prozesse gestalten, als Empfindungssubstanzen. Diese Überführung der äußeren Wahrnehmung, die im Bewusstsein anwesend ist, in den inneren Lebensprozess, ist eine Tätigkeit, die zwar unbewusst abläuft, aber doch von Rudolf Steiner als eine Art basales Ich-Erleben beschrieben wird. [2] Darin liegt eine Art Tasterlebnis zwischen der Wahrnehmung der äußeren Welt und den eigenen Lebensprozessen. Das Ich-Erlebnis besteht nicht in den inneren Lebensprozessen, auch nicht in der äußeren Wahrnehmung, sondern in der Berührung des einen mit dem anderen, und in dem Übergang des einen in das Andere. Die Wahrnehmung scheint also nur vordergründig ein reines Bewusstseinsphänomen zu sein, in Wirklichkeit dient sie der Aufrechterhaltung und Weiterentwickelung des Ich-Erlebens. Das Ich erlebt die bestimmten Wahrnehmungen als Anregungen im eigenen Organismus tätig zu werden. Diese Tätigkeit im Organismus ist wiederum in seiner eigentlichen Realität eine empfindende und wahrnehmende, aber im Gegensatz zu der scheinbar passiven Rezeptivität der äußeren Wahrnehmung eine Eigentätigkeit. Diese Eigentätigkeit hat deshalb Ich-Charakter, und ist in der Lage zu bleiben, weil die Tätigkeit durch jeden vollzogenen Prozess vielfältiger und einheitlicher zugleich wird. Diese Tätigkeit des Ich ist es auch die als Vermögen Leben zu gestalten nach der Auflösung des Organismus im Tod bleibt. Es bleiben nicht die einzelnen Wahrnehmungen, sondern die durch sie angeregte und vollzogene Entwicklung im Ich. Weiterlesen

Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn

Teil 4

„Es gibt nur Wahrnehmbares und Denkbares.“

Was ist eigentlich eine Wahrnehmung? Passives Erleiden von Reizen aus der Umwelt, wie es das 20. Jahrhundert weitgehend formuliert hat [1]? Die moderne Aristoteles Forschung hat herausgearbeitet, dass Wahrnehmung weder etwas rein Subjektives, noch etwas rein Objektives ist, sondern eine reale Berührung, ja Identität von Wahrnehmbarem und Wahrnehmung existiert. „Die Tätigkeit des Wahrnehmbaren und die Tätigkeit des Wahrnehmungssinnes ist dieselbe und eines.“ [2] Die Wahrnehmung ist eine unterscheidendes Erkenntnistätigkeit. Sie ähnelt dem Denken darin, dass sie das Vermögen zur Selbstbewegung hat, selbst aktiv unterscheiden kann, d.h. die Tätigkeit ist ein „aktives Moment der Seele, d.h. das Subjekt kann selbst in Beziehung zu dem Wahrnehmungsgegenstand treten“[3].  Andersherum wird das Wahrnehmen durch den Gegenstand der Wahrnehmung „aufgeweckt“, der Gegenstand dient dazu die Tätigkeit des Unterscheidens aufzuwecken. Die Tätigkeit des Unterscheidens im Wahrnehmen ist damit auf den Gegenstand angewiesen, also auf die Aktualität des Hier und Jetzt. Damit ist sie eindeutig auf die irdischen Bedingungen verwiesen. Ich nehme, wenn ich z.B. die Farbe ‚Gelb‘ wahrnehme, nicht irgendeine Information wahr, einen Reiz, den ich in die Farbe Gelb verwandele, ich nehme eine Realität, eine Tätigkeit wahr, die Gelb ist. Das das Gelb die Oberfläche eines Gegenstandes ist, hat damit erst einmal nichts zu tun, es ist nur der Anlass für die Gelb-Wahrnehmung. Ich nehme also das wahr, w a s Gelb ist. Das, was ich da wahrnehme ist immer wahr. Es gibt keine Täuschung in den einfachen Wahrnehmungen. Täuschung entsteht erst, wenn ich verschiedene Wahrnehmungen zusammensetze. Das Wahrnehmbare versetzt das Wahrnehmungsorgan in eine Tätigkeit, die ich dann wahrnehme. „Im Moment, in dem das aktuale Wahrnehmungsvermögen und der aktuale Wahrnehmungsgegenstand gleich sind, unterscheidet die aktuale Wahrnehmungstätigkeit den aktualen Wahrnehmungsgegenstand und erkennt so das wahrnehmbare Eidos (Erkenntnisform R.W.), wobei sie selbst aktual der Tätigkeit nach dieses Eidos wird.“ [4]

Ein ähnlicher Vorgang wie im Denken. Auch dort wird das Denkende und das Gedachte eines. Der Unterschied ist nur, dass das Denken nicht an das Hier und Jetzt eines Wahrnehmungsgegenstandes gebunden ist. Wahrnehmen ist eine aktive geistige Unterscheidungstätigkeit, die durch den Gegenstand aufgeweckt wird, dann aber aktiv ist. Erkennen bedeutet ja sich dem Erkenntnisgegenstand anzugleichen und dadurch zu erkennen, dass ich diese Tätigkeit selbst vollziehe. Während das Denken ein Vorgang ist, in dem Gedachtes und Denkender sich im Inneren des Erkennenden befindet, sind beim Wahrnehmen Wahrnehmender und Wahrnehmbares anscheinend getrennt in Innen und Außen. Ohne Wahrnehmbares keine Wahrnehmung, ohne Wahrnehmenden ebenso. Ebenso ist Bedingung für die Wahrnehmung das Wahrnehmungsorgan, in dem sich die Veränderung durch das Wahrnehmbare vollzieht. Alle drei Anteile der Wahrnehmung müssen wiederum sich in einer ‚maßhaften Mitte‘ befinden, sonst kann die Wahrnehmung nicht vollendet werden. Ist der Wahrnehmungsgegenstand zu leise, oder das Ohr taub, oder die Aufmerksamkeit abgelenkt, wird nichts bewusst gehört. Ist er zu laut, wird das Organ geschädigt, und es kann auch nichts mehr unterschieden werden. Der Begriff der maßhaften Mitte (grch. Mesotes), den wir schon bei dem Tastsinn angeschaut haben, betrifft alles Sinneswahrnehmungen. Bei allen bezieht er sich aber auf etwas Bestimmtes. Beim Sehen auf die Farben, beim Hören auf die Töne, beim Tasten auf die maßhafte Mitte aller Gegenstände.

Ein wichtiges weiteres Faktum gehört zur ‚Wahrnehmung‘ als Unterscheidungstätigkeit dazu, dass sie uns angeboren ist. Sie differenziert sich zwar im Verlauf der Kindheit immer weiter aus, wie wir oben angesprochen haben (der ‚eine Sinn des Kindes‘), aber wir besitzen von Geburt an ein aktives geistiges Unterscheidungsvermögen, das wahrheitsfähig ist, und aus dem sich das Denken, als von Einzelwahrnehmungen unabhängiges Erkenntnisvermögen entwickelt. Dies ist eine wichtige menschenkundliche Tatsache, die für eine weitere Forschung zum Ausgangspunkt werden kann. Wahrnehmen, scheint so betrachtet eine Art Denken zu sein, dass sich in einem Dornröschen-Schlaf befindet und aufgeweckt werden muss. Es ist abhängig von seiner Umgebung, vom Wahrnehmbaren in seiner Umgebung, und abhängig von seinen leiblichen Wahrnehmungsorganen und von seinem Wahrnehmungsvermögen. Würde man auf der frühen Kindheitsstufe fragen was das ‚Ich‘ ist, müsste man alle drei Faktoren als eine Art ausgebreitetes äußeres und inneres Ich denken. Das Ich ist auf Objekt und Subjekt, Außen und Innen verteilt und kommt in der Entwicklung durch die Berührung beider Anteile, Tätigkeiten zu sich selbst. Und so ist das kindliche Erleben ja auch charakterisiert: Eine Übergänglichkeit zwischen Innen und Außen, und Außen und Innen, die sich erst im in der weiteren Entwicklung auftrennt in inneres Erleben und äußere Welt.

Die Ursache für diese Trennung hat Rudolf Steiner in der entsprechenden Klassenstunde, aber auch in seinem Buch ’Seelenrätsel‘ in der Auseinandersetzung mit den irdischen Kräften, z.B. der Schwerkraft gesehen. Das direkte sich Verbinden und Auseinandersetzen mit diesen Kräften in den unteren Sinnen, gibt den mehr lichtartigen und luftigen Wahrnehmungen der oberen Sinne erst ihre Schwere und Gebundenheit (sowohl an den Gegenstand, wie auch an das Subjekt). Das Durchschauen und Erleben dieser unbewussten Verbindung, und der damit sich bildenden Urteile, kann so Rudolf Steiner dazu führen, die Übergänglichkeit des Ich wieder in ähnlicher Weise, wie das Kind zu erleben, ohne auf die Bewusstseinsstufe des Kindes zurückzukehren. Denn die Bildung des zentralen Ichs durch die beschriebene Verbindung mit den Erdenkräften und ihrer Stützfunktion ist eine Erfahrung, die jetzt als ‚Ich‘ Erlebnis in die Wahrnehmung mit hineingenommen werden kann. Sprich, verkürzt ausgedrückt, kann das Tasten als Ich-Tätigkeit in allen Wahrnehmungen (und im Denken?) ausgeübt und bemerkt werden.

14.7.2018

 

 

[1] (siehe Wikipedia: „Wahrnehmung (auch Perzeption genannt) ist der Prozess und das Ergebnis der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Reizen aus der Umwelt und dem Körperinnern eines Lebewesens. Das geschieht durch unbewusstes (und beim Menschen manchmal bewusstes) Filtern und Zusammenführen von Teil-Informationen zu subjektiv sinn-vollen Gesamteindrücken. Diese werden auch Perzepte genannt und laufend mit gespeicherten Vorstellungen (Konstrukten und Schemata) abgeglichen.)“

[2] Arist.,de An. , 425b26-27

[3] Krewet, Die Theorie der Gefühle bei Aristoteles, Heidelberg 2011 S.  258 (Dissertation)

[4] Ebd.S.259

Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn – Teil 3

Teil 3

In der antiken Psychologie ist der Tastsinn der Sinn für verschiedene Wahrnehmungen, wie hart und weich, aber auch warm und kalt, und trocken oder feucht usw. Das führt auch zu einer gewissen Verwirrung bezüglich des Organs für diese so verschiedenen Wahrnehmungsgegenstände.  Soll ein Sinnesorgan für so verschiedene Wahrnehmungen zuständig sein? Rudolf Steiner hat in seinem Buch ‚Anthroposophie‘ 1910 (Fragment) eine Differenzierung und Erweiterung der Sinne entwickelt, die auch für den Tastsinn bedeutsam ist. Er beschreibt drei neue Sinne, die den Bereich differenzieren, der bisher dem Tastsinn zugeschrieben wurde. Dadurch bleibt dem Tastsinn nur die Wahrnehmung von Druck, Widerstand. Alle anderen Wahrnehmungen wie Härte oder Weichheit sind nach Steiner schon Urteile, die an diese Wahrnehmung herangetragen werden. Noch andere Wahrnehmungen entstehen dadurch, dass der durch den Tastsinn wahrgenommene Druck auch Veränderungen im Körper verursacht: „Ein Körper, der auf mich drückt, verursacht z.B. eine Lageverschiebung innerhalb meiner Leiblichkeit, diese wird durch den Lebens-, oder Eigenbewegungs-, oder den Gleichgewichtssinn wahrgenommen.“ (S. 169 Clement) Der Lebenssinn wird folgenermaßen charakterisiert: „Durch sie empfindet sich der Mensch als ein den Raumerfüllendes, leibliches Selbst.“ Der Eigenbewegungssinn: „durch welchen der Mensch z.B. eine von ihm ausgeführte Bewegung wahrnimmt.“  Der Gleichgewichtssinn (statischer Sinn): „wie der Mensch sich gegenüber von oben und unten, rechts und links usw. in einer bestimmten Lage zu erhalten vermag.“ „Der Mensch erlangt durch diese drei Sinne die Empfindung der eigenen Leiblichkeit als eines Ganzen, welche die Grundlage ist für sein Selbstbewusstsein als physisches Wesen. Man kann sagen, die Seele öffnet durch Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn ihre Tore gegenüber der eigenen Leiblichkeit und empfindet diese als die ihr zunächst stehende physische Außenwelt.“ (S.165 Clement) Für die Seele sind diese Sinne die Berührung mit der irdischen Welt in der eigenen Leiblichkeit. Die Seele ist da eingetaucht in die verschiedenen Kräfte des Festen, Flüssigen, Luftigen, Feurigen. Die Seele berührt dort die Natur und die Natur berührt die Seele.   Weiterlesen

Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn 2. Teil

2.Teil in dem der Tastsinn bei Aristoteles etwas genauer angeschaut wird.

„Der Tastsinn ist wie eine Mitte (mesotes) für alle Gegenstände“ Aristoteles

Der Blick in die antike Psychologie ermöglicht zweierlei, einerseits sind dort einige Grundannahmen der menschlichen Seele herausgearbeitet, die für eine gegenwärtige Psychologie noch gelten, andererseits kann man auch bemerken, dass die menschliche Entwicklung fortgeschritten ist und einige Beobachtungen heute anders ausfallen würden.

Hier einige Grundaussagen zum Tastsinn aus dem 3. Buch ‚Über die Seele‘ von Aristoteles:

  1. Ohne Berührung, Tasten kann es auch keine andere Wahrnehmung geben.
  2. Jeder beseelte Körper ist tastfähig.
  3. Die anderen Sinne nehmen durch einen anderen Körper wahr, nämlich durch die Dazwischenliegenden; der Tastsinn besteht darin die tastbaren Gegenstände selbst zu berühren. Das Tasten berührt durch sich selbst.
  4. Der Tastsinn ist wie eine Mitte für alle Gegenstände.
  5. Er besteht weder(nur) aus Erde, noch aus anderen Elementen.
  6. Beim Verlust des Tastsinns stirbt das Lebewesen.
  7. Die anderen Wahrnehmungsgegenstände wie Schall oder Farbe zerstören lediglich die Wahrnehmungsorgane; das Übermaß des Tastbaren dagegen zerstört das Lebewesen.

Der Tastsinn der grundlegende Sinn aller Lebewesen, das ist noch relativ einfach nachzuvollziehen (Aristoteles begründet dies auch). Aber was er eigentlich ist, wird nicht so recht deutlich, nur was er nicht ist. Er ist auf jeden Fall existentieller als die anderen Sinne, denn sein Verschwinden beendet auch das Leben. Wenn das Tastende abnimmt, nimmt das Tastbare zu. Oder, die andere Variante: Zuviel Tastbares verdrängt das Tastende, bzw. den Tastenden. (Man könnte also auf den Gedanken kommen, dass das Tastende in der Zukunft des Lebewesens besteht, während das zu Tastende die Vergangenheit ausmacht.) Weiterlesen