Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn

Teil 5

Das Tasten des Ich

Das Tasten als Berührung von etwas anderem und als gleichzeitige Selbstberührung ist in vielfältigen Variationen schon angesprochen worden. Um aber zu verstehen, wer da was oder wen berührt, muss man noch einige Gesichtspunkte hinzunehmen. Etwas formelhaft kann man erst einmal bemerken, dass die äußere Wahrnehmung, oder die Wahrnehmung von äußeren Dingen nicht darin besteht, dass der äußere Wahrnehmungsgegenstand, bspw. der Stein, oder die Rose mit seiner Körperlichkeit in mich übergeht. Diese Art des Wahrnehmens ist eher lichthafter, scheinartiger Natur und würde in sich wieder verwehen, sich auflösen, wenn sie nicht durch etwas gebunden würde, das wieder körperlicher Natur ist. Die Lebensprozesse des Organismus, die mit der jeweiligen Wahrnehmung verbunden sind, sind eine solche ‚körperliche‘ Realität, die die Wahrnehmung (meist im Hintergrund des bewussten Wahrnehmens) vom Schein in ein neues Sein überführen. Die eigene Gestaltung im Organismus wird mit der der Empfindung verbunden. [1] Äußere Eindrücke werden so zu inneren Eindrücken, die im Organismus bleibend werden, ja die organischen Prozesse gestalten, als Empfindungssubstanzen. Diese Überführung der äußeren Wahrnehmung, die im Bewusstsein anwesend ist, in den inneren Lebensprozess, ist eine Tätigkeit, die zwar unbewusst abläuft, aber doch von Rudolf Steiner als eine Art basales Ich-Erleben beschrieben wird. [2] Darin liegt eine Art Tasterlebnis zwischen der Wahrnehmung der äußeren Welt und den eigenen Lebensprozessen. Das Ich-Erlebnis besteht nicht in den inneren Lebensprozessen, auch nicht in der äußeren Wahrnehmung, sondern in der Berührung des einen mit dem anderen, und in dem Übergang des einen in das Andere. Die Wahrnehmung scheint also nur vordergründig ein reines Bewusstseinsphänomen zu sein, in Wirklichkeit dient sie der Aufrechterhaltung und Weiterentwickelung des Ich-Erlebens. Das Ich erlebt die bestimmten Wahrnehmungen als Anregungen im eigenen Organismus tätig zu werden. Diese Tätigkeit im Organismus ist wiederum in seiner eigentlichen Realität eine empfindende und wahrnehmende, aber im Gegensatz zu der scheinbar passiven Rezeptivität der äußeren Wahrnehmung eine Eigentätigkeit. Diese Eigentätigkeit hat deshalb Ich-Charakter, und ist in der Lage zu bleiben, weil die Tätigkeit durch jeden vollzogenen Prozess vielfältiger und einheitlicher zugleich wird. Diese Tätigkeit des Ich ist es auch die als Vermögen Leben zu gestalten nach der Auflösung des Organismus im Tod bleibt. Es bleiben nicht die einzelnen Wahrnehmungen, sondern die durch sie angeregte und vollzogene Entwicklung im Ich.

Dieser Prozess, der in der Kindheit hochaktiv und dynamisch verläuft, droht im Erwachsenenalter zu erstarren. Ich neige immer mehr dazu nur das wahrzunehmen (und zu denken), was ich schon bin, und bin immer mehr das was ich wahrnehme (und denke). Man kann sich fragen woher die hohe Aktivität und Dynamik stammt, die im Kindesalter so überzeugend und wahrnehmbar wirkt. Man fragt damit nach einer Art Überschuss Ich-Kraft, die ja schon vorhanden ist und die die kindliche Entwicklung stimuliert. Man fragt damit auch nach einer Ich-Kraft, die noch eine große Nähe von Außen und Innen hat. Während wir von außen die Umgebung des Kindes von seiner inneren Entwicklung trennen, ist es für das Kind ein Prozess, der weder über einseitige äußere (objektive) Gegebenheiten bestimmt wird, noch einseitig durch innere Prozesse. Der Entwicklungsprozess ist ein Gesamtprozess indem sich Inneres und Äußeres erst einmal untrennbar aufeinander beziehen. In der Kindheit, vor allem in der frühen Kindheit können wir für das Ich eine intime Nähe von äußeren Wahrnehmungen und inneren Lebensprozessen beobachten. Verlängert man diese Figur rückwärts ins Vorgeburtliche, kann man von einer noch größeren Ungetrenntheit dieser beiden Seiten der Ich-Entwicklung ausgehen. [3]

Das Tasten des Ich besteht immer aus einer doppelten Bewegung. Es ist ein einheitliches Ich-Tasten, und gleichzeitig (bewusstseinsmäßig) ein getrenntes Erleben von tastendem Ich und dem was für das Ich tastbar ist. In der konkreten und aktuellen irdischen Wahrnehmung werden sich beide gleich. Denn die Wahrnehmung ist immer ein einheitliches Erleben dieses Zusammenhanges.

18.7.2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Rudolf Steiner beschreibt diesen Vorgang in Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst (GA 27) S.38 (ausführlich dazu mein Beitrag in ‚Psychologie des Ich‘ ‚Weltbezug des Ich‘.)

[2] R. Steiner, Leitsätze 11-16 (GA26) siehe ausführlich in dem Buch ‚Psychologie des Ich‘, in meinem Beitrag zu den Leitsätzen.

[3] Dies beschreibt Rudolf Steiner im ‚Heilpädagogischen Kurs‘, dazu ausführlich in ‚Psychologie des Ich‘ der Beitrag von Wolf-Ulrich Klünker und mein Beitrag ‚Weltbezug des Ich‘.

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