„Der Tod- die andere Seite des Lebens“

„Jede Seele ist unsterblich; denn das stets Bewegte ist unsterblich. Was aber ein anderes bewegt und von einem anderen bewegt wird, das hat, sofern es ein Aufhören der Bewegung hat, auch ein Aufhören des Lebens.“ Platon, Phaidros

Gestern, am Gründonnerstag, hatte ich seit längerer Zeit mal wieder eine Supervision mit Ehrenamtlichen der Hospizarbeit. Während des intensiven Austausches sagte eine Teilnehmerin, ich solle das doch einmal aufschreiben, was hier besprochen wurde, bzw. was ich mit ihnen an der Grenze des Sagbaren erarbeitete. Das ist natürlich nicht eins zu eins möglich, weil wir an konkreten einzelnen Situationen gearbeitet haben. Aber umso wichtiger erscheint es mir, unabhängig von den einzelnen Fällen (aber mit ihnen im Hintergrund),  einmal einen größeren Zusammenhang zu versuchen zur Frage des Umgangs mit dem Tod. (Praxis-Hintergrund dafür ist meine zunehmende Supervisionsarbeit seit 2015 im Bereich der Hospizarbeit). (Anbei der Aufsatz als PDF)

Die Hospizbewegung ist eigentlich eine Bürgerbewegung, wie sie viele im 20. Jahrhundert entstanden sind, die sich um eine Not kümmern, die ohne eine solche Bewegung, meist übrigens global, keine Heimat hätte. Hier seien nur exemplarisch Amnesty International, oder auch Greenpeace genannt, aber die Zunahme dieser freien Bürgerbewegungen kann als eigentlicher zivilisatorischer und kultureller Fortschritt angesehen werden. Die Hospizbewegung hat als ‚Not‘ das Sterben aufgegriffen. Wie sterben Menschen? Kann man sie dabei begleiten, damit sie nicht allein sterben müssen? Diese Frage ist natürlich erst ins öffentliche Bewusstsein getreten durch  einzelne Menschen, in diesem Fall vor allem durch Elisabeth Kübler-Ross in den siebziger Jahren. Dazu nötig waren zwei gesellschaftliche Entwicklungen, ein Entfernen des Sterbens aus der Alltagskultur und die Verschiebung des Sterbens in die Einrichtungen, wie Altenheime und Kliniken und gleichzeitig, gegenläufig zur Institutionalisierung des Menschen, die immer stärkere Betonung der einzelnen Persönlichkeit, so dass das Sterben immer weniger Teil des normalen Lebensprozesses war, stattdessen immer mehr zu einem Geschehen wurde, das den einzelnen Menschen ganz bewusst und ganz persönlich existentiell betrifft. Die Frage, was ein ‚gutes Sterben‘ ist,klingt ja an sich schon paradox und führt auch in der Hospizbewegung zu interessanten Vorstellungen und Auseinandersetzungen.(Das soll an anderer Stelle einmal angeschaut werden) Ähnlich wie die Frage nach der ‚guten Geburt‘ beruht sie aber darauf, dass ein bis dahin mehr animalisches natürliches Geschehen beim Eintritt und beim Austritt des Lebens nicht mehr gewährleistet ist und auch nicht mehr der Bewusstseinslage heutiger Menschen entspricht. So war es für meine Frau und mich sehr hilfreich bei der Geburt unserer Kinder nicht nur eine Hebamme zu haben, die sich mit diesem Prozess auskennt, sondern von dieser auch über das, was bei einer Geburt geschieht oder geschehen kann, ausführlich informiert zu werden. Ähnliche Prozesse wurden dann ja auch für das Sterben von den Protagonisten der Hospizbewegung erforscht. So dass die Sterbebegleiter bei ihren Begleitungen im Hintergrund durch ihre Ausbildung und durch ihre Erfahrungen eine Art inhärenter Struktur des Sterbeprozesses besitzen (der sich natürlich in jedem Einzelfall individuell ausprägen wird).

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Das Ich im Grenzbereich des Lebens

Die Umbildung geisteswissenschaftlicher Begriffe für eine Psychologie des Ich

Der folgende Beitrag ist ein Nachklang zweier Veranstaltungen der Forschungsstelle für Psychologie DELOS, kann aber auch unabhängig von diesen gelesen werden. In den Veranstaltungen ging es in der ersten um ein aktuelles und realistisches Verständnis früherer Hochschulansätze in der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners und damit um ein Verständnis der ‚Schwellensituation‘ des Ich, in der zweiten Veranstaltung ging es um ein Verständnis des ‚Ätherischen Menschen‘, verkürzt also um eine Verständnis des Menschen, der sich inzwischen in einer ‚Wasserwirklichkeit‘ des Lebendigen bewegen können muss, sich aber immer noch in einer physischen Gegenstandswelt denkt.

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Die aktuelle Zeitlage scheint sich dahingehend zuzuspitzen, dass das Krisenhafte des Lebens nicht zur Ausnahme, sondern zum Dauerzustand wird. Dies gilt sowohl für die größere Zeitlage, wie auch für das einzelne Leben. Da die meisten dieser Krisen direkt oder indirekt menschengemacht sind, zeugen sie davon, dass unsere Lebensformen nicht wirklichkeitsfähig sind. Die Krisen werden auch allgemein immer als ein Aufwachen verstanden aus vorherigen illusionären Lebenshaltungen und Einschätzungen dessen was Leben ist. Oft wird in den Krisen dann mit drastischen Reaktionen (und manchmal auch Fehl- und Überreaktionen) versucht den Anforderungen der Wirklichkeit gerecht zu werden. Das ganze Geschehen ähnelt dann aber mehr dem was geschieht, wenn ein Mensch, der nicht schwimmen kann ins Wasser gerät und droht unterzugehen. Er wird hektisch und versucht mit allen möglich Bewegungen sich über Wasser zu halten, wehrt oft selbst Rettungsversuche ab, und geht doch letztlich unter. Hilfreich wäre es gewesen sich vorher mit den Gesetzmäßigkeiten des Wassers durch Schwimmen Lernen vertraut zu machen. Wenn man sich fragt, ob es im Vorfeld der Krisenwirklichkeit unseres aktuellen Lebens denn Möglichkeiten des Schwimmen Lernens gab, dann muss man etwas tiefer in das letzte Jahrhundert schauen. Man kann dann tatsächlich Beschreibungen solcher menschlicher Lagen finden, allerdings nicht als Lebenspsychologie, sondern als Beschreibung für selbst erzeugte Entwicklungssituationen, durch geistige Schulung. Wenn man die damaligen sogenannten esoterischen Schulungsansätze in dieser Hinsicht untersucht, ob sie möglicherweise eine Art Vorlauf und Vorschein auf eine Wirklichkeit waren, die jetzt allgemeine Lebenswirklichkeit für viele Menschen geworden ist, dann könnte aus ihnen eine Lebenspsychologie des Ich gewonnen werden. Dazu müsste man sie aber transformieren aus einer historischen Situation, in die sie vor einhundert Jahren eingebettet waren, in die aktuelle Gegenwart. Einige Ansätze in dieser Richtung sollen hier exemplarisch geschildert werden. Damit wird aber auch erst verständlich, was mit ‚Ich-Entwicklung‘ eigentlich gemeint ist.

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Rhythmus in der Musik und im Organismus –

Notizen zu Aristoxenos

Die folgenden Gedanken habe ich für meine Freunde, mit denen ich an dem Thema ‘Die Sinne des Ich’ arbeite verfasst. Insbesondere für Emmanuel Rechenberg, der im Bereich der Eurythmie forscht. 

Mein peripheres Ich hat in Zusammenarbeit mit meinem zentralen Ich folgenden alten Griechen aufgetan: Aristoxenos.  (Aristoxenos – Elemente der Rhythmik, Theorie der musikalischen Zeit , bei Meiner 2021 erschienen) Aristoxenos war (enger) Schüler von Aristoteles und hat „die traditionelle Musiktheorie der Pythagoreer abgelehnt und die empirische Musikwissenschaft begründet“. Er hat als erster den Rhythmus im Sprechen vom Rhythmus in der Musik unterschieden. Dies ist auch von der Musikwissenschaft im 19. Jahrhundert aufgegriffen worden, aber die entscheidenden Aspekte seiner Rhythmik wurden nicht berücksichtigt. Das führt dazu, dass vertreten wird, „dass der klassisch-griechische Sinn für Rhythmen rein quantitativ war. Damit wurde die Rhythmik auf das Metrik, der Rhythmus auf das Metrum reduziert.“ Das hat jahrhundertelang zu einem metrischen Reduktionismus geführt, der erst durch Veröffentlichungen in den letzten Jahrzehnten aufgebrochen werden konnte.

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