Auftakt 2017

Am Sonntag, den 05.03.2017 wurde von mir die Ausstellung Auftakt 2017 mit einer Matinee eröffnet. Besonders freute mich, das auch das Wetter ein Einsehen hatte und die Sonne heraus kam, als ich eingangs einige erläuternde Sätze zu der Entstehenung der Bildern sagte. So das eine sehr schöne Stimmung im Raum entstand. Anschließend ergaben sich viele […]

über Matinee am vergangen Sonntag… — Atelier Blog

… inklusiv werden!

Folgender Artikel von Martina Rasch erschien jetzt in der Zeitschrift ‚Punkt und Kreis‘. Darin geht es auch um unser Projekt ‚Maßstab Mensch‘ für das wir im April 2016 eine Starthilfe Finanzierung von Aktion Mensch bekommen haben. (siehe auch http://www.umkreis.org)

Netzwerk Maßstab Mensch: ein neues Projekt im ländlichen Raum

Von Martina Rasch

Inklusion ist vor 10 Jahren als Menschenrecht in der UN-Behindertenrechts-konvention festgeschrieben worden. Weltweit gibt es ca. 650 Millionen Menschen mit Behinderungen, das sind 10% der Weltbevölkerung. Von den 194 Ländern weltweit, haben sich 167 Staaten und die EU dieser Konvention angeschlossen und damit die volle und wirksame Teilhabe und Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft zu ihrem rechtlichen Grundsatz gemacht. Inklusion stellt die voll-umfängliche Teilnahme aller Menschen an allen gesellschaftlichen Aktivitäten und auf allen Ebenen ins Zentrum ihrer Intention und setzt damit von vornherein[1] eine Zugehörigkeit aller Menschen voraus. Aus dieser Zugehörigkeit heraus gilt es, eine uneingeschränkte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu fördern, ohne deren Bedürfnisse zu übersehen.[2] Diese „uneingeschränkte Teilhabe“ gesellschaftlich und menschlich zu ermöglichen, betrifft damit jeden von uns, in besonderer Weise jedoch die Praxis des institutionalisierten Helfens.

Die bisherigen Leitbegriffe der Sozialen Arbeit waren die der Integration und Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderungen. Diese haben in den letzten Jahrzehnten ein umfängliches Versorgungssystem gemeindenaher Hilfsangebote entstehen lassen, deren zentrale Maxime lautet: ambulant vor stationär! Mit ihnen wurde der Sozialraum Gemeinde konstituiert und gestaltet. Insbesondere in den städtischen Regionen sind in diesem Versorgungsnetz exklusive Enklaven konzentrierter Einseitigkeiten entstanden, die als „Monokultur im Sozialen“ charakterisiert werden können. Klaus Dörner charakterisiert dies zugespitzt wie folgt: „Noch nie zuvor war eine Kultur auf die Idee gekommen, alle Bürger nach ihrer zeitgemäßen Brauchbarkeit zu sortieren und, um die Brauchbaren zur maximalen Entfaltung ihrer Arbeitsfähigkeit zu bringen, die Unbrauchbaren als hinderliche Störfaktoren, als Hilfs- oder Kontrollbedürftige zu etikettieren, nach Sorten zu spezialisieren und zu homogenisieren und – nach in der Regel erfolglosen Veränderungsbemühungen – in einem flächendeckenden Netz von Institutionen zu konzentrieren und lebenslänglich unsichtbar zu machen.“[3] Das Versorgungsnetz in ländlichen Regionen ist im Vergleich zum städtischen Raum deutlich weniger durch ambulante, als durch stationäre Angebote geprägt. In Niedersachsen bspw. erhalten Menschen mit Behinderungen im ambulant betreuten Wohnen durchschnittlich 2,7 Std. Betreuung in der Woche. Wer damit nicht auskommt, lebt im Wohnheim, bleibt in der Familie oder zieht in die Stadt.

Wenn nun „alle gesellschaftlichen Bereiche für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zugeschnitten sein müssen oder geöffnet werden“[4], dann wird es notwendig werden, Sozialräume, auch außerhalb von Institutionen stärker in den Blick zu nehmen. Weiterlesen

Was ist Farbe? Forschungswege mit der Farbe – Teil II

PDF Was ist FarbeII

In der Zeitschrift ‚Anthroposophie‘ Ostern 2017 ist folgender Bericht von mir zu unserer Arbeit im Sommer auf Aerö erschienen.

Roland Wiese

‚Forschungswege mit der Farbe‘ skizziert den Weg einer kleinen Gruppe von Malerinnen und Maler, die seit vier Jahren in offener Form eine Vertiefung ihrer individuellen Erfahrungen mit der Farbe versucht. 2013 fand eine erste Werkstatt in Basel statt mit dem Seminar mit Wolf-Ulrich Klünker ‚Die Kunst wird zur Ich-Form der Wirklichkeit‘. Ein Kolloquium in Eichwalde (Berlin) folgte 2014. 2015 fand das Treffen in Horstedt statt (darüber wurde berichtet in Anthroposophie IV/2015)   Das diesjährige Treffen der sich erweiternden Gruppe (Jasminka Bogdanovic, Johannes Onneken, Susanne Hörz, Rüdiger Mövens, Wolfgang Voigt, Elfi und Roland Wiese) fand auf Äroe statt, einer kleinen Insel in der Dänischen Südsee, die für ihre besonderen Lichtverhältnisse bekannt ist. Ort des Treffens war die Vitsö Kunstskole (also die Kunstschule Weißer See) von Rüdiger Mövens. Der Gastgeber, Rüdiger Mövens, hat in den letzten 30 Jahren in Dänemark eine Ausbildung in anthroposophischer Kunsttherapie aufgebaut. Er arbeitet auch als Kunsttherapeut und Dozent, und er ist Maler.

Themen der inhaltlichen Arbeit waren diesmal Farbe und Substanz[1], Farbe und Wahrnehmung im Schicksal[2] und die Vorträge von Rudolf Steiner Über das Wesen der Farbe von 1921. In der Vorbereitung der Farbvorträge konnte man erstaunlicherweise nur wenig Literatur finden, in denen diese Vorträge Steiners einmal aufgearbeitet worden sind. Umso interessanter war es, die sehr grundlegenden Zusammenhänge Steiners zu den Farben einmal intensiv gemeinsam zu bearbeiten, zumal die dort aufgezeigten Blickrichtungen der Bildfarben und der Glanzfarben eine völlig eigenständige Entwicklung Steiners ist. Er hat diese Vorträge auf Bitten der Künstler gehalten, die am Goetheanum mit der Ausmalung der Kuppeldecken betraut waren. Steiner selbst hatte in den Jahren zuvor dort gemalt, weil er mit der den damaligen Malern möglichen Malerei nicht das getroffen fand, was ihm für die Ausmalung der Decke vorschwebte. Es sollen deshalb einige der erarbeiteten Ansätze weiter unten einmal dargestellt werden, mehr als Anregung und Aufforderung damit weiter umzugehen und diese Ansätze mitzunehmen in eine heutige Fragestellung.[3]

Bildfarben

Für Aristoteles entstehen die Farben an der Grenze des Durchsichtigen. In dieser einfachen Bestimmung der Farbentstehung sind schon wesentliche Elemente enthalten, die später von Goethe wieder aufgegriffen werden und die Rudolf Steiner in den ersten Vorträgen „Über das Wesen der Farbe“, also über die Frage, was die Farbe ist, aufgreift: Licht (Durchsichtiges), Finsternis (Grenze), Farbe. Damit Farben entstehen, müssen diese beiden Elemente vorhanden sein: „Durchsichtiges“, das an ein „Undurchsichtiges“ stößt. Umgekehrt verweist die Farbe immer auf diese beiden Hervorbringer, verbindet sie zu einer neuen Wirklichkeit und ist insofern ein Grenzphänomen. Rudolf Steiner hat aber eine weitere Differenzierung, man könnte auch sagen Schichtung der Farben entwickelt: Die Differenzierung in Bildfarben und Glanzfarben. Die Bildfarben, auch Schattenfarben genannt, sind für ihn die Farben, die entstehen, wenn ein Leuchtendes und ein Schattenwerfendes eine Farbe entstehen lassen. Diese Bestimmung ähnelt noch der aristotelischen Bestimmung. Die weitere Entwicklung dieses Prinzips erweitert aber die Begriffe dessen, was Leuchtendes und was Schattenwerfendes ist, über die normalen irdisch vorhandenen Bezüge hinaus. Dass die Farbe Grün der tote Schatten des Lebendigen ist, kann vielleicht noch einfach nachvollzogen werden (anhand der Grünbildung in der Pflanze). Aber dass das Schwarz der geistige Schatten des Toten ist, oder das Weiß der seelische Schatten des Geistes, ist möglicherweise nicht so einfach zu denken und zu empfinden. Wie lässt sich denken, dass das Tote das Leuchtende ist und das Geistige der Schatten? Und wie lässt sich denken, dass das Geistige das Leuchtende ist und das Seelische der Schatten?

Die letzte Bildfarbe, die den Kreis der Bildfarben schließt, ist das Pfirsichblüt, von Steiner auch als Inkarnatfarbe bezeichnet. Diese Farbe ist das seelische Bild, oder der seelische Schatten des Lebendigen. Im näheren Umgang mit diesen Bestimmungen der Farben kann man bemerken, dass man durch den Versuch die Situation der einzelnen Farbe innerlich nachzuvollziehen in den Entstehungspunkt und damit in das Innere dieser Farbe hineinkommen kann. Farbe ist nicht länger Oberfläche von etwas, sondern Werk (ergon) einer ganz bestimmten Situation. Für das Weiß als seelischer Schatten oder seelisches  Bild des Geistes, sei dies einmal individuell und exemplarisch durchgeführt.

Gerade das Verhältnis des Weißen zum Durchsichtigen (Geistigen) ist geeignet, der Farbentstehung anders nahezukommen als es Newton in seiner Optik versucht hat. Für ihn ergeben sich die Farben als eine Aufspaltung des Lichtes. Sie sind im Licht enthalten. Newton sagt vereinfacht:  Zwinge ich das Licht (durch ein Prisma) sich zu brechen, zeigt es seine ihm inhärenten Farben als Spektrum. Aristoteles, Goethe, aber auch Steiner würden das Experiment Newtons ganz anders verstehen: Sie würden – statt der optischen und damit geometrischen Wirklichkeitsschicht, mit der Newton versucht die Farbe zu erklären, also mit Strahlen und Brechungen etc. die Verminderung der Durchsichtigkeit, also das Opake (die Trübung) in den Blick nehmen.[4] Die Farbe Weiß kann man sich leicht als eine erste Trübung des Durchsichtigen denken.

In unserer Farb-Werkstatt hatte Susanne Hörz darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen Steiners, Leben, Seele, Geist, Tod, in Bezug auf die Farbe, mit Hilfe der aristotelischen Seelengliederung aus „De anima“ verstehbar werden können. Dort wird von der Denkseele (anima intellectiva), der empfindenden und wahrnehmenden Seele (anima sensitiva) und der lebendigen Seele (anima vegetativa) gesprochen, und natürlich von dem eigentlichen Geistigen, dem nous, oder intellectus. Die Farbe Weiß kann als Bild der Denkseele im Verhältnis zum Denkenden selbst empfunden werden. Es ist die erste Verdichtung des Undurchsichtigen, das aber gleichzeitig alle anderen Verdichtungen (Farben) aufnehmen kann und zur Erscheinung bringen kann.

Nachdem wir uns morgens mit den Bildfarben insbesondere Schwarz und Weiß intensiv beschäftigt hatten, wurde uns abends in einem Film über den französischen Maler Pierre Soulage, der Zeit seines Lebens mit der Farbe Schwarz gearbeitet hat, ein Beispiel für die opake Funktion des Weiß gezeigt. Pierre Soulage hatte mit einem Glashersteller für die romanische Kirche in Conques weiße Glasfenster entwickelt und kommt hier zu der Aussage: „Der geschaffene Raum lässt den Blick nicht auf das äußere Umfeld abgleiten. Ich musste ein Glas finden, das nicht durchscheinend ist, das Licht durchlässt, nicht aber den Blick (…) Ich habe daher mein eigenes Spezialglas entwickelt, das Licht zugleich diffus und moduliert durchlässt.“ Er hat diese Verdichtung – wenn ich es recht verstanden habe – dadurch erreicht, dass in dem Glas unterschiedliche kristalline Verdichtungen eingelagert sind, die aber ihre Glasartigkeit und damit ihre Durchsichtigkeit durch den Schmelzprozess verloren haben. Diese dadurch weißen Fenster, sind sowohl weiß, als auch in der Lage jede Veränderung des durchgehenden Lichtes in Farbe zu verwandeln.

Rudolf Steiner hat den Begriff „Grenze“, den Begriff des „Durchsichtigen“ und den Begriff des „Undurchsichtigen“ weiter ausdifferenziert und erweitert, indem er die Begriffe „Leuchtendes“ und „Schattenwerfendes“ so beweglich verwendet, dass auch etwas zum Leuchtenden werden kann, so das man vielleicht oberflächlich eher als Schattenwerfendes empfinden würde. Man ist zunächst irritiert, wenn man sich das Tote als Leuchtendes Vorstellen soll und das Geistige dann als Schattenwerfendes, und dass das Bild dieser Relation die Farbe Schwarz ist. „Schwarz stellt dar das geistige Bild des Toten“.[5] Steiner begründet dies in aristotelischer Weise so, dass in der schwarzen Finsternis kein Leben ist, aber auch kein Seelisches sich dort halten oder etwas machen kann. Nur das Geistige kann das Schwarze durchdringen. Das Schwarz zeigt sich so als eine inhaltslose Positivität, die der Formung bedarf, die eine solche Form aber auch aktiv sichtbar macht. Das Leuchtende des Toten ist seine Übergänglichkeit von der vergangenen Form in die neue Form. In die kann der Geist hinein. In der schwarzen Finsternis kann ich mich nicht auf vergangene Form stützen, sondern muss eigene Formung (Bewegung) beginnen. Das Schwarz ist das Bild und Medium dieser plastischen Potenz. [6]

Eine solche Anschauung der Farbe hat eine andere Funktion als rein psychologisch beschreibende Anschauungen. Sie ist aussagefähig über innere seelische Situationen, ebenso über das Verhältnis zum Leben und zur Welt. Sie stellt in ihrer wechselseitigen Funktion als Leuchtendes, bzw. Schattenwerfendes den Zusammenhang zwischen Subjekt und Objekt wieder her. Sie gibt im Grenzbereich heutiger Existenz eine Möglichkeit der Selbstsituierung, ohne den Objektbezug illusionär zu verlieren. Gerade der Umgang mit der begriffsrealistischen Durchdringung der Wirklichkeit der Farbe macht erlebbar, dass Denktätigkeit und Empfindungstätigkeit nicht voneinander zu trennen sind und in dieser Durchdringung wieder in einer neuen und doch ‚ursprünglichen Weise‘ zusammenkommen können.

Die Forschungswege sollen nächstes Jahr fortgesetzt werden.

[1] Siehe der Aufsatz von R. Wiese in Anthroposophie, Weihnachten 2015

[2] Siehe der Aufsatz von Susanne Hörz in Anthroposophie, Johanni 2016

[3] Wie sie in den obigen Aufsätzen, aber auch in dem Aufsatz von W.U. Klünker in Anthroposophie, Michaeli 2015 aufgezeigt werden.

[4] Mathias Rang und Grebe-Ellis haben auf diese zwei völlig verschiedenen Wirklichkeitsbereiche Newtons und Goethes hingewiesen. Siehe u.a. Mathias Rang, Phänomenologie komplementärer Spektren, Berlin 2015

[5] R. Steiner: Das Wesen der Farben Dornach 1921, (GA 291), S.40.

[6] Auf diese Situation der Finsternis verweist Rudolf Steiner auch im ersten Mantram der Klassenstunde.

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Ausbaufähige Ansätze

Ausbaufähige Ansätze

Wolf-Ulrich Klünker, Johannes Reiner, Maria Tolksdorf & Roland Wiese: Psychologie des Ich – Anthroposophie, Psychotherapie, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2016, 187 Seiten, 22 EUR

In Zeiten, wo philosophierende Neurologen und neurologisierende »Geist-Philosophen« einem breiten Publikum die Seele erklären und dabei selbst moralisch motivierte Willensprozesse auf genetisch determinierte Neurozellularmechanismen zurückführen, ist die Arbeit an einer »zukunftsfähigen Psychologie des Ich« (S. 7) – weit entfernt vom Naturalismus und überholten psychoanalytischen Ich-Modellen – so dringend wie nie. Dass hierfür kein statischer, sondern ein dynamisch gedachter Ich-Begriff entwickelt werden muss, der dabei selbst wirklichkeitsschaffend ist, steht außer Frage. Die vier Autoren sind diesem Ansatz mehr oder weniger verpflichtet. Sie kommen aus unterschiedlichen psychologischen, psychiatrischen und psychosozialen Arbeitsbereichen und haben sich bemüht, ihre Forschungs- und Praxiserfahrungen im Rahmen von sechs Aufsätzen – wie es im Vorwort heißt – »ineinanderzuweben«. Sie stützen ihre Überlegungen auf anthroposophische Grundlagen: den ›Heilpädagogischen Kurs‹ (GA 317), Steiners Votum ›Zur Psychiatrie‹ (enthalten in GA 314) und seine ›Anthroposophischen Leitsätze‹ Nr. 11-16 (GA 26) sowie auf die Nebenübungen (von Johannes Reiner in unnötiger Anglisierung als »six steps« adaptiert).Darüber hinaus wurde von Wolf-Ulrich Klünker in einer die Epochen übergreifenden Schau der geistesgeschichtliche Entwicklungsprozess nachgezeichnet und mit in epistemologischer Hinsicht wichtigen Zitaten belegt. Besonders wertvoll ist dabei sein Bemühen, den psychologischen Ansatz des ›Heilpädagogischen Kurses‹ an die Wissenschaftsgeschichte anzuschließen. Allerdings fragt man sich, warum er als Ausgangspunkt Aristoteles’ Seelenlehre und nicht Platons Anamnesis-Lehre von der individuellen geistigen Präexistenz der Seele wählt – zumal es im ›Heilpädagogischen Kurs‹ ja darum geht, das »vorgeburtliche Denken des Ich […] als wirkende Kraft neu in die Psychologiegeschichte« einzuführen (S. 167). Bei einer Einbeziehung Platons hätte im Kapitel ›Nachtodlich wird vorgeburtlich‹ Steiners Ansatz als nicht minder innovativ, nämlich als platonisch-aristotelische Synthese, verstanden werden können. Für Johannes Reiner »hat es sich zur Erlangung von Einfachheit und Klarheit bewährt, die Ich-Dimensionen in den Bereichen 1. Tag, Wachen; 2. Nacht, Schlafen und 3. in unserer nachtodlichen und vorgeburtlichen, also ewigen Existenz, zu verorten« (S. 15). Diese Klassifizierung mag auf den ersten Blick wohltuende Ordnung bieten. Sie birgt jedoch – wie viele therapeutische Schemata – Gefahren in sich, gerade dann, wenn es um die praktische Umsetzung geht, die Reiner anhand  zahlreicher, oft medikamentös abgesicherter Praxisbehandlungen demonstriert. Das gilt insbesondere für die Frage, wie das Verhältnis der drei Ich-Dimensionen zueinander in pathologischen Prozessen zu denken sei. Allzu schnelle assoziative und kausalistische Schlüsse können in den sensiblen Sphären therapeutischen Denkens missverständlich sein. Zum Beispiel, wenn die Suizidabsicht einer Patientin als Anziehungskraft, die unweigerlich vom ewigen Ich auf das unerfüllte Erden-Ich ausgehe, gedeutet wird (S. 105 u. 111). Die Frage nach einer der geistigen Dimension von einer der Psychopathologie angemessenen Logik bleibt offen. Weiterlesen