Die Overbecks und wir – neu sortiert!

Forschungswege mit der Farbe – Tod und Auferstehung der Farbe

Es könnte sein, dass das was ich jetzt schreibe, schwierig zu verstehen ist. Weil es ein ziemlich abstrakter Zusammenhang ist, der in mir aber ein nächster Schritt in meinen Forschungswegen mit der Farbe ist. Und weil das, was ich jetzt darstellen möchte mit seinem äußeren Gegenstand, einer  Ausstellung in Bremen im Overbeck-Museum, auf den ersten Blick auch nicht so viel zu tun hat. Vielleicht aber doch. Die Forschungswege mit der Farbe sind ein Geschehen, das immer wieder neu angeregt wird durch äußere Geschehnisse, z.B. Ausstellungen von Malern und Malerinnen, dann aber in mir einen Weg fortsetzt, der mehr ein denkerischer Zusammenhang ist. Es handelt sich also nicht um eine künstlerische Bewertung oder Beurteilung. Mich interessiert wirklich der Forschungs-Weg, der Künstler und Künstlerinnen, wie auch mein eigener mit der Farbe. (Auf diesem Blog gibt es ja einige Beiträge dazu).

Der aktuelle Gegenstand, der diese Spur in mir wieder aufweckte, ist die Ausstellung ‚Die Overbecks – neu sortiert‘ , heute am 4. Februar im Overbeck-Museum in Bremen Vegesack eröffnet (bis 14. April dort noch zu sehen). Das Museum ist gewissermaßen das Zuhause der Bilder von Fritz und Hermine Overbeck. ‚Neu sortiert‘ bedeutet ganz konkret, neben den Bildern der Overbecks hängen jetzt Bilder der Malerin Ulrike Brockmann. Und ‚neu sortiert‘ bedeutet auch, diese Bilder sind Teil einer (Forschungs-)Werkreihe von Ulrike Brockmann, die sie ‚Sortiertes Sehen‘ nennt.

Man kann bei Ulrike Brockmann berechtigt von Forschung mit Farbe sprechen, sie benennt das auch selbst so: „In meiner künstlerischen Arbeit setze ich mich mit den visuellen Gegebenheiten meiner Umgebung auseinander. Ich suche nach der – dem einzelnen Farbton zugrunde liegenden – Idee und dem „optimalen“ Zusammenspiel verschiedener Töne. Meine Wahrnehmungsfähigkeit und meine Empfindung dienen mir als Parameter. Ich lasse die Farben auf mich wirken, untersuche ihre Energien und ihre Gesetzmäßigkeiten und erforsche ihre Interaktion untereinander. Diesen, meiner Arbeit zugrundeliegenden Prozess, begreife ich als eine Annäherung zum Wesen der Farbe. In meinen Augen ist dies sowohl für Betrachtende als auch für mich als Malerin ein sehr spiritueller Vorgang, basierend auf sinnlicher Wahrnehmung und der Fähigkeit bzw. Bereitschaft, sich vom Wesen der Farbe berühren zu lassen. (Webseite der Malerin)

Was ist nun das Projekt ‚Sortiertes Sehen‘? „In ihrem Projekt SORTIERTES SEHEN lässt Ulrike Brockmann durch ein eigens dafür entwickeltes Computerprogramm die aufgenommene Fotografie in ihre einzelnen Farbbestandteile zerlegen und nach Farbwerten in Streifen ordnen. Eine ungegenständliche Fotografie entsteht und macht das Zusammenspiel der Farbe zum eigentlichen Inhalt.“ (so ihre Webseite) Beide Aussagen der Malerin klingen erst einmal wie ein Widerspruch. Sinnliche Wahrnehmung der Farben und ein Computerprogramm das Bilder nach Farbwerten zerlegt? Für die ‚Overbecks – neu sortiert‘ hat sie genau das mit den Bildern der Overbecks gemacht. „Abbildungen der Originalgemälde aus der Zeit um 1900 bearbeitete sie mittels einer eigenes entwickelten Software, zerlegte sie in ihre Farbwerte und ordnete diese, nach der Häufigkeiten ihres Vorkommens sortiert, neu an.“ (so der Prospekt der Ausstellung) Natürlich hat Ulrike Brockmann diesen Prozess durch eigene Gestaltung, nach ihren Empfindungen, gestaltet. Aber grundsätzlich liegt dem Ganzen schon eine Art Schreddern eines Bildes zugrunde, dass dann als Farbschichten-Bild wieder neu, oder als  ganz neues Bild angesehen werden kann.

Bild: Ulrike Brockmann, Foto: Roland Wiese

Man merkte der Leiterin des Overbeck-Museums, Katja Pourshirazi, an, dass sie den Menschen unbedingt deutlich machen wollte, dass es sich nicht um ein Verbrechen an den Original-Bildern handelt, was hier zu sehen ist. „Radikal“, ist die Nebeneinanderstellung der so unterschiedlich generierten Bilder auf jeden Fall. Um 1900 haben die Worpsweder Maler und Malerinnen schließlich noch oder wieder versucht die Landschaft, in die sie meist von wo anders hergezogen waren, als Landschaft in ihren unterschiedlichen Stimmungen zu zeigen. „Abend im Moor“ heißt dann z.B. ein Bild und man sieht Birken, einen Sandweg, einen Wassergraben und den Himmel mit Mond. Und man erkennt einen typischen Landschaftseindruck der Gegend um Bremen herum. Daneben hängt jetzt ein Bild, auf dem man schmale unterschiedlich farbige Streifen sieht. Kein Bild von etwas, sondern ein Bild als etwas: Farbstreifen. Gegenstand ist nicht mehr die Landschaft als bildgebender Zusammenhang mit der entsprechenden konkreten Stimmung einer Jahreszeit oder eines Tagesverlaufes, Gegenstand ist Farbe als Streifen sortiert.

Bild: Links Hermine Overbeck-Rohte, rechts Ulrike Brockmann, Foto: R.Wiese

Ich weiß von der Malerin (wir kennen uns von einer kleinen Forschungsgruppe, die mit einem Buch von Gottfried Boehm ‚Wie Bilder Sinn erzeugen‘ arbeitet), dass sie sie sich zu dieser Konstellation des Nebeneinander überreden lassen musste, dieses Ringen wurde auch von der Museumsleiterin ausdrücklich betont. Aber genau diese Relation zwischen den beiden Sehensarten oder Bilderarten ist interessant und aufschlussreich. Was ist mit uns Menschen in den 12o Jahren geschehen, dass wir eine solche Auflösung der vorhandenen Bildwirklichkeit in eine neue Wirklichkeit vollziehen wollen und können oder vielleicht sogar müssen? Eine ältere Besucherin saß vor einer solchen Gegenüberstellung zweier Bildern und fragte mich: Welches würden Sie lieber mit nach Hause nehmen? Sie war sich sicher, auf jeden Fall das mit den farbigen Streifen! Was sind dagegen die alten Bilder für uns heute? Eine Art Vergangenheitstraum? So haben wir Menschen einmal gesehen, bzw. das war für die Menschen damals neues Sehen? Was und wie sehen wir heute?

Bilder: links Ulrike Brockmann, rechts Fritz Overbeck, Foto: R. Wiese

Es wird beim ‚Sortieren des Sehens‘ dem Sehen, dem automatischen Sehen etwas weggenommen. Man muss gewissermaßen vor dem Bild aufwachen. Das Bild, die Farben, die Streifen sind wie eine Wand. Denn sie zeigen keine Landschaften, Gegenstände, Räume, oder zumindest Farbräume, keine Seelenstimmungen, keine Bedeutungen. Nichts mehr da als das was da ist.  Zeigt das Bild insofern keinen anderen Gegenstand als es selbst ist?

Bild: Ulrike Brockmann Foto: R.Wiese

Merkwürdigerweise geschieht doch etwas beim Sehen der Bilder, was nicht einfach zu verstehen ist, weil es der äußeren Wirklichkeit, also der Form der Bilder irgendwie widerspricht. Die äußerste Vereinfachung der Bilder in gedruckte Streifen von Farbe macht etwas mit den Farben und dem Farbempfinden. Und ich wurde sehr schnell an ein Erleben erinnert, was mir damals ebenso merkwürdig erschien. In einer großen Ausstellung der Bilder von Agnes Martin, war auf ihren Bildern auch nicht viel mehr zu sehen als große Streifen von Farbe, ganz einfach gemalt, horizontal, übereinander. Also Farbe einer abstrakten Gestaltung, einer Art aufgezwungenem Gesetz untergeordnet. Und trotzdem hatten diese sehr großen Bilder eine unglaublich verlebendigende Wirkung auf mich. (siehe meinen Beitrag von 2016 in diesem Blog zu Agnes Martin: Vollkommenheit, Schönheit, Unschuld) Und auch hier haben die toten, gedruckten Farbstreifen als Bild die merkwürdige Wirkung eine ganz bestimmte  differenzierte und einheitliche Farbstimmung zu erzeugen. Als ob die Konzentration der Farbe auf sich selbst und auf die einfachste Form des Streifens das Interagieren der Farben miteinander geradezu provozieren würden. Um es noch komplizierter und komplexer zu machen: Was macht unser Sehen, was machen wir als Menschen gegenüber/mit einer solchen Farbstreifenwirklichkeit?

Bild: Ulrike Brockmann, Foto: R. Wiese

Wenn man der Besucherin und mir glaubt, dann entsprechen diese Bilder und das was sie mit uns machen, mehr unserer eigenen aktuellen inneren Wirklichkeit als die alten Landschafsbilder, in denen die gleichen Farben enthalten sind. Wir sind heute in der Lage, und ich bin mir nicht sicher, ob dies schon vor 120 Jahren möglich gewesen wäre, aus einzelnen Farbstreifen auf einer quadratischen Fläche eine Farbstimmung zu synthetisieren. Und wir haben dabei das Gefühl, uns auf der Höhe unserer eigenen Wirklichkeit zu befinden. Wir empfinden die einzelnen Farben in den Streifen als ganzes Bild! Und ein solches Bild interessiert uns. Wir können zum Beispiel bemerken, dass die Bilder mit breiteren Streifen andere Wirkungen haben als die Bilder mit schmaleren Streifen. Und ein solches Bild ‚reicht‘ uns. Es gibt uns etwas. Wir brauchen die Landschaft gar nicht mehr?

Natürlich, und das sei hier betont, beruht unser Empfinden und unsere Leistung auf einem Angebot eines anderen Menschen, der Malerin, die hier mit dem Computer gemalt hat. Was hat sie denn eigentlich menschlich zu der Generierung der Farbwerte und Streifen durch das Computerprogramm dazu getan? Das was Maler und Malerinnen schon immer getan haben, aber bisher geleitet waren durch äußere Gegenstände der Natur. Sie hat mit ihrem Empfinden (und darin sind alle verborgenen unteren Sinne beteiligt) das richtige oder das stimmige Maß der Streifen und der Farben bestimmt. Sie konnte und musste sich dabei auf eine absolut reduzierte Gestaltungsmöglichkeit beschränken. Diese Beschränkung konzentriert gleichzeitig auch die Wirkung der Farben miteinander. Und diese Reduktion ermöglicht auch dem Betrachter, da er ja immer die gleiche Struktur vor sich hat, die unterschiedlichen Farbstimmungen, die einzelnen Bilder zu sehen. Man sieht mehr durch weniger. 

Jetzt meine These: Vielleicht brauchen wir heute diese Art von Bildern, um danach erst wieder richtig auch Landschaft, Natur, Gegenstände, andere Menschen sehen zu können?

Die parallele Hängung von alten und neuen Bildern ermöglicht mir mich (bewusstseinsgeschichtlich) zu verorten in einem Jetzt im Vergleich zu einem Früher. Diese Wahrnehmung kommt noch zu der Wahrnehmung der Streifenbilder hinzu und verstärkt den Effekt ungemein. Noch einmal die Frage, was ist mit uns Menschen geschehen, dass wir heute vor diesen Bildern stehen und sie sehen können und sehen wollen? Die Overbecks – neu sortiert – oder wir neu sortiert?

Roland Wiese 4.2.2023

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