Transformation und Ich Entwicklung II

Foto: Roland Wiese

Im ersten Teil habe ich auf eine gesellschaftliche Bewegung (Recovery) aufmerksam gemacht, die mit Krankheit und Behinderung, insbesondere psychischer Erkrankung, einen ganz neuen Umgang gefunden hat. Es geht darum aus dem problematischen Erleben und mit dem Erleben eine Entwicklungsbewegung zu finden, die die Erkrankung oder Störung des seelischen Erlebens in den Hintergrund treten lässt. Es geht um einen Genesungsweg, der im wesentlichen einem Entwicklungsweg entspricht, aber sich dadurch unterscheidet, dass er existentiell notwendig ist, dass er aus einer existentiellen Erfahrung heraus gegangen werden muss, die erst einmal nur wenig Spielraum für neue Möglichkeiten lässt. Will man eine solche Entwicklungssituation des Ich genauer verstehen, muss man etwas tiefer in das hineingehen, was das Ich eigentlich ausmacht und was dementsprechend als Bewegung für eine heutige Ich-Entwicklung möglich, aber auch nötig ist. Dabei zeigt sich auch eine ganz neue Entwicklungssituation für das Ich.

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Identität und Entwicklung

Für das Ich lässt sich zunehmend eine ganz neue Entwicklungsdimension bemerken, die, wenn man sie in eine Art Formel bringen wollte, so lautete: Während früher die Ich-Entwicklung darin bestand sich zu einem Ich zu entwickeln an allem was als Nicht-Ich in einem und um einen herum existiert, besteht die aktuelle Entwicklungssituation des Ich darin, sich mit dem und in dem eigenen Ich zu entwickeln. Das Ich entwickelt sich in dem, was es als Ich geworden ist. Eine solche Entwicklung von Ich im Ich kann man natürlich vordergründig biografisch verstehen, und ein solches Moment ist auch zunehmend gegeben. Voraussetzung für eine solche Entwicklungssituation des Ich ist aber ein Verständnis einer Ich-Genese über mehrere Inkarnationen hinweg. Das heutige Ich wäre also zu verstehen als Ergebnis einer Ich-Entwicklung eines vorherigen Lebens und als Ausgangspunkt für weitere Ich-Bildungen. Insofern würde die Entwicklung des Ich im Ich voraussetzen, dass ich den Unterschied zwischen dem gewordenen Ich und dem anstehenden Entwicklungsschritt bemerken kann. Ich muss mich in mir selbst von mir unterscheiden können. Die vorherige Entwicklungssituation war mehr dadurch gekennzeichnet, dass ich mich von kollektiveren Formen des Seins als Ich unterscheiden musste. Diese Entwicklung ist auch sicherlich noch nicht abgeschlossen, aber die Tendenz geht heute schon in eine andere Richtung: in die Entwicklung des Ich im Ich. Zumindest ist es wichtig diese Art von Entwicklung schon einmal zu bemerken und näher anzuschauen, weil aus einer solchen Veränderung natürlich ganz andere Umgangsweisen resultieren, bzw. alte Denk- und Umgangsweisen, insbesondere auch therapeutische (und selbsttherapeutische) Ansätze sich dementsprechend verändern müssten (wie das an den Ansätzen der ‚Recovery-Bewegung‘ gut zu erkennen ist). Eine solche grundlegende menschenkundliche Veränderung betrifft aber auch alle sozialen und politischen Verhältnisse. Denn diese müssten sich ja auf eine solche Dimension von Ich-Entwicklung ausrichten. Man kann dies heute schon daran bemerken, dass alte gesellschaftliche Denkweisen zunehmend in Krisen münden, weil sie nicht mehr zu Lösung aktueller, durch die Ich-Entwicklung aufgeworfenen Probleme taugen. Die alten Denkweisen wirken heute geradezu toxisch auf die einzelnen Menschen und ihre sozialen Zusammenhänge (dazu gehören alle Anschauungen des Menschen als Gruppenseele).

Man kann die aufgezeigte Situation des Ich geistesgeschichtlich sehr konsistent und sehr einfach begrifflich herleiten. Man könnte dies damit tun, dass man die schon sehr alte Grundlage der aristotelischen Psychologie, nämlich ‚anima forma corporis‘ (Die Seele ist die Form des Leibes), ernst nimmt und sich fragt, ob diese Formel sich nicht erst heute in Wirklichkeit einlöst. Und diese Einlösung geschieht in einer Situation, in der wissenschaftlich genau das Gegenteil allgemeine Grundlage der Wissenschaft geworden ist: corpus forma animae – der Leib/Körper/Organismus ist die Form/Ursache des Bewusstseins. Mit ‚Einlösung‘ ist hier gemeint, dass die formende Kraft der Seele tatsächlich Ursache eines individualisierten Organismus wird;  im Gegensatz zu einer Anschauung, die den Organismus als ‚objektives Naturgeschehen‘ anschaut. Bis in die Genetik und die Immunitätsfragen zeigt sich diese Individualisierung immer deutlicher.

Wenn man länger mit der aristotelischen Begrifflichkeit, ‚die Seele ist die Form des Leibes‘, umgeht, und auch weitergehende anthropologische und psychologische Zusammenhänge daraus ableitet, dann kann sich vielleicht folgender Eindruck, als leise Empfindung beim Anblick anderer Menschen einstellen: Die Menschen sind ganz sie selbst. Mit ‚ganz‘ ist hier gemeint, dass eben auch die ganze Leiblichkeit und die gegebene Schicksalswirklichkeit, also die ‚Lebensumstände‘ des Menschen („Ich bin ich und meine Lebensumstände“ – Ortega y Gasset) sie selbst sind, also zu ihrem Ich gehören. Rudolf Steiner hat in den 20 er Jahren des 20.Jahrhunderts für die organische Seite des Ich den Begriff des Ich-Organismus angelegt. ‚Ich‘ ist also nicht nur das, was heute als Ich-Bewusstsein verstanden und erlebt wird und was wissenschaftlich neuerdings als ‚First-Person-Perspective‘ beforscht wird. Die Seele, und damit die individuelle Seele, ist tatsächlich als formende Kraft im Organismus und darüber hinaus zu denken. Die Bewusstseinsseite dieser Tätigkeit zeigt sich im Ich-Erleben des Menschen. Die Lebensseite dieser Tätigkeit zeigt sich unter anderem auch als Resilienz und Immunität. Darüber hinaus hat Steiner diese Ich-Dimension auch für die Schicksalsseite des Menschen angesprochen: „Statt in die Welt zu hineinzustarren, die in Glück und Unglück das Ich auf ihren Wellen trägt, findet man das Ich, das wollend das eigene Schicksal gestaltet. Statt an die Welt zu stoßen, an der das Ich zerschellt, dringt man in das Selbst ein, das sich mit dem Weltgeschehen verbunden fühlt (1924). Natürlich gilt für die Ich-Tätigkeit im Organismus und im Schicksal, dass sie zwar Ursache des Bewusstseins ist, aber selbst nicht automatisch diesem Bewusstsein zugänglich ist. Sie ist gewissermaßen zwangsläufig eine Art ‚Blinder Fleck‘. Sie bemerkt sich selbst erst einmal  nicht in ihrer Tätigkeit, nur in ihrem Ergebnis als Ich-Erleben, also als Identität mit mir selbst und in mir selbst, als Kontinuität des eigenen Selbsterlebens und in der Kohärenz des eigenen Lebensgefühls (als mein Leben) ist sie indirekt spürbar und damit bewusstseinsfähig.

Voraussetzung für eine solche Ich-Wirkung in die eigene Leib- und Schicksalsbildung ist natürlich eine verstärkte Ich-Entwicklung in vorherigen Leben. Die Formkraft der Seele als individuelle Kraft basiert auf einer ichhaften Seelenentwicklung, die auch nach der Trennung vom Leib durch den Tod, die Intention und die Fähigkeit zur Bildung eines neuen Leibes (und Lebens) in sich trägt. Man müsste den Seelenbegriff des Aristoteles ‚anima forma corporis‘ nur konsequent zu Ende denken, dann käme man auf drei Wirkungen der Ich-Seele. Eine Formkraft der Seele als die Kraft, die den Leib erst gebildet hat, also die vorgeburtliche Formkraft, eine Formkraft der Seele aus der aktuellen Ich-Tätigkeit, als den Organismus belebend und beseelend und eine Formkraft, die gewissermaßen aus der Zukunft, also aus dem Nachtodlichen, in das Leben hineinwirkt als Möglichkeit einen neuen Leib zu bilden. Insofern haben wir es auch mit drei Arten des Ich zu tun, die sich aneinander unterscheiden und bemerken können. Für die Identifizierung findet sich In den Leitsätzen (97, 98, 99) Rudolf Steiners schon 1924 eine differenzierte Orientierung. Wenn man ‚anima‘, also Seele so versteht, dass sie aus drei Grundbewegungen zusammengesetzt ist, aus Denken, Fühlen und Wollen, dann besteht die neue Aufgabe für das Ich darin, diese Seelentätigkeiten aus ihrem ‚automatischen‘ Zusammenwirken herauslösen zu können. Wobei dieser Prozess durch die Ich-Entwicklung des 20. Jahrhundert schon sehr weit fortgeschritten ist. Die alte seelische Identität als Ergebnis des Zusammenwirkens von Denken, Fühlen und Wollen löst sich auf und wartet darauf, in ein neues,  ichgeführtes  Zusammenwirken überführt zu werden. In der Aktivierung des Denkens durch ein aktives Empfinden (Fühlen und Wollen) wird das was an vorgeburtlichen Kräften in uns leibbildend wirkt „ausgelebt“. „Im Fühlen und Wollen des Denkens lebt der Mensch sein Karma der Vergangenheit aus“(LS 99). Denn das „karmische Ergebnis voriger Erdenleben“ ist im Wollen und Fühlen des Gedankenlebens enthalten (LS 98). Man kann schon bei dieser ersten neuen Zusammenführung der drei Seelenkräfte bemerken, das es um eine bewusste und aktive Begleitung der einen Tätigkeit, hier das Denken, mit den beiden anderen Seelenkräften geht, Wolf-Ulrich Klünker nennt dies in ähnlicher Weise die Aktivierung des Denkens. Warum Aktivierung? Normalerweise wirken das Fühlen und Wollen im Gedankenleben nur im ‚Untergrund‘ oder Hintergrund des Denkens. Bewusst wird uns nur der Inhalt des Gedankenlebens, meist nicht das Fühlen und Wollen des Denkens. Aktivierung aber auch, weil es heute schon ‚normal‘ geworden ist zu Denken ohne die Beteiligung des eigenen Willens und Fühlens.

Für das Wollen gibt es eine ähnliche Figur: „Im Denken und Fühlen des Wollens bereitet er das Karma der Zukunft vor“(99). Oder auch: „Das Denken und Fühlen des Willenslebens reißen das gegenwärtige Erdenleben aus dem karmischen Zusammenhange heraus (LS 98)“. Während beim Denken zwar der Inhalt bewusst ist, aber nicht die damit verbundenen Seelenbewegungen des Fühlens und Wollens, ist das Wollen hochgradig unbewusst und kann nur durch die Begleitung mit Denken und Fühlen empfindungsfähig werden.

Das Fühlen selbst wiederum soll durch Denken und Wollen begleitet werden, dadurch entsteht eine neue eigengeführte Mitte des Seelenlebens im Jetzt.  

Vielleicht wird die hier nur angedeutete neue seelische Bewegungsart deutlich. Das was bisher unbewusst die jeweilige eine Seelenkraft begleitet hat, oder auch schon dissoziiert ist, wird nun vom Ich aktiv ergriffen. Dadurch entsteht eine völlig neue Gliederung der Seelenkräfte hin zu einer neuen in sich differenzierten Identität. Das was bisher für die Ich-Entwicklung in der Unterscheidung zwischen eigenen Kräften und äußeren Einwirkungen notwendig war, verwandelt sich jetzt in eine neue seelische Konfiguration im Ich. Ein Aufwachen in dem, was ich bisher geworden bin, ein Aufwachen in dem was ich werden will, ein Aufwachen zwischen diesen beiden Richtungen in dem was jetzt ist. Dadurch entsteht ein neuer Empfindungsorganismus des Ich, indem sich unterschiedliche (und ganz neue) Empfindungen aneinander bemerken.

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Erschütterung und Krise

Voraussetzung für den oben geschilderten neuen Seelenaufbau ist, dass die ‚alte Seele‘ ihre bisherige Einheit und damit ihr Identität stiftende Wirkung verliert. Zu Steiners Zeiten begann dieser Prozess zivilisatorisch, aber es waren noch ‚natürliche‘ seelische Gruppen-Konstitutionen formgebend und tragend. Heute kann man zunehmend davon ausgehen, dass eine solche ehemals gesunde Seelenverfassung nicht mehr vorhanden ist. Stattdessen ist die Tragfähigkeit der seelischen Einheit im Erleben von einer starken Ich-Führung abhängig. Deshalb kann ein normales seelisches Alltagserleben auch schnell durch scheinbar gar nicht so dramatische Erlebnisse dissoziieren, sprich sich auflösen. Die damit einhergehende seelische Erschütterung ist Ausdruck der Auflösung der seelischen Einheit. Deshalb taugen die alten seelischen Krankheitsbegriffe auch nur noch wenig. Sie entsprechen nicht dem, was in den Menschen heute wirklich vorgeht. Es sind die vorhandenen starken Ich-Kräfte, oder aber die fehlenden Ich-Kräfte, bzw. die nicht ausbalancierten Ich-Kräfte, die die jeweilige psychische Verfassung verursachen.

Das Ich hat sowohl eine karmische Vergangenheit, wie eine karmische Gegenwart und auch eine karmische Zukunft. Alle drei Zeiten beinhalten die Entwicklungsdynamik des Ich. So ist der Vergangenheitsaspekt das, was das Ich inhaltlich insoweit ausmacht, dass es Weltbezüge, Beziehungen zu Weltinhalten gibt, wie auch Neigungen und Fähigkeiten. Gleichzeitig sind diese positiven Inhalte auch problematische Widerstände, bzw. Sedierungen von Leben, wenn sie sich einfach fortsetzen. Eine reine Vergangenheitsbezogenheit wirkt tendenziell eher analytisch oder sogar depressiv. Dagegen wirkt eine reine Zukunftsorientierung ohne einen realistischen Bezug zur Welt und ihren Angelegenheiten eher illusorisch oder sogar manisch. Erst im mittleren Empfinden beider Kräfte und Formen in der Gegenwart, also im jeweiligen ‚Lebensaugenblick‘ bildet sich eine angemessene Ich-Form für die eigene Lage. Die Ich-Führung der einzelnen seelischen Kräfte kann aber erst dann eintreten, wenn diese nicht mehr automatisch zusammenwirken. Das alte seelische Identitätsgefühl muss also sich auflösen. Das krisenhafte Erleben der Auflösung tritt nicht nur bei seelischer Erkrankung oder biografischer Krise ein, es ist ein notwendiges Erleben im Übergang zur eigenständigen bewussten Verstärkung der einzelnen Seelenkräfte. Ein Erleben, dass nicht nur einmal als Durchgang sich vollzieht, sondern immer wieder Ausgangspunkt und Zwischensituation in der neuen ichgeführten Seelenbildung sein wird. Denn diese Bildung vollzieht sich grundsätzlich nur dort, wo das alte Denken und Wollen, und damit auch das alte Fühlen, an eine Grenze kommt. Nur durch das Erleben der Grenzen und der Auflösung des alten Selbstgefühls, kann das neue ichgetragene Selbstgefühl (Geistselbst) erlebt und gelebt werden.

Die Aufspaltung der drei Seelenkräfte Denken, Fühlen und Wollen, hat Rudolf Steiner immer wieder in seiner Zeit prognostiziert. Wir leben inzwischen in der Wirklichkeit dieser Aufspaltung, die sich sowohl innerseelisch, wie auch zivilisatorisch zeigt. Die voneinander getrennten Seelenkräfte zeigen sich innerseelisch als ein Denken, das nicht mehr von Fühlen und Wollen begleitet werden, ein Fühlen, dass nicht mehr von Denken und Wollen begleitet wird und ein Wollen, das nicht mehr von Denken und Fühlen begleitet wird. Die zivilisatorische Wirkung der Trennung zeigt sich in technischen Realisierungen einzelner Seelenkräfte wie der Automatisierung des Denkens (im Rückgriff dann der Vergleich des Denkens mit dem Computer), der Automatisierung der Sensorik und der Automatisierung der Robotik oder auch Mechanik, mit der jeweiligen Rückwirkung in das Bild, was man sich vom Menschen macht. Die Ich-Begleitung der einzelnen Seelenkräfte ist nur dadurch möglich, dass die jeweils beiden anderen Seelenkräfte sich ihres Anteils an der einzelnen Seelenkraft durch Verstärkung bewusst werden. Durch Fühlen und Wollen des Denkens kann so ein empfindendes Denken entstehen, ein solches Denken kann nur individuell sein, da es den individuellen Kräften entspricht. Ein von Denken und Fühlen begleitetes Wollen wird ebenfalls empfindungsfähig für die anstehenden Intentionen, Impulse und nächsten Schritte der Individualität. Ein von Denken und Wollen begleitetes Fühlen wird zu einem empfindenden Fühlen der aktuellen Lebenswirklichkeit, ohne in diesem Jetzt steckenzubleiben. Rudolf Steiner hat diese Doppelung der einzelnen Seelenkräfte in seinen Mantren der Hochschule sehr genau gefasst. Dabei ist die Anforderung dort noch, diese Bewusstseinsdoppelung anstelle, oder wie, die damals noch diese Seelenkräfte führenden  drei Hierarchien vorzunehmen. Heute stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Führung noch gegeben ist, bzw. für die Ich-Entwicklung förderlich ist. Für das Denken formuliert er: „Empfinde, wie wir in deinem Denken empfinden.“ Für das Fühlen: „ Erlebe, wie wir in deinem Fühlen erleben.“ Für das Wollen: „ Schaue, wie wir in deinem Wollen schauen.“ Die einzelnen Seelenkräfte werden zu Orten, die durch Aktivierung der jeweils beiden anderen Seelenkräfte wahrnehmbar und gestaltbar werden. Die moderne Ich-Entwicklung kann sich deshalb in dem Spannungsverhältnis zwischen dem Vergangenheits-Ich, repräsentiert durch die aus dem Vorgeburtlichen wirkenden Denkkräfte und dem Zukunfts-Ich, repräsentiert durch die aus dem nachtodlichen keimhaft wirkenden Willenskräfte, im aktuellen mittleren Selbstgefühl vollziehen.

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Entwicklung und Therapie

Die therapeutische Wirkung dieses neuen Selbstgefühls (Wolf-Ulrich Klünker hat diesen Begriff Hegels für die Gegenwart erweitert) liegt darin, dass es Innenerleben und Peripherie  im Ich neu verbindet. Dadurch wird die Isolierung des subjektiven Bewusstsein gegenüber seiner Umgebung überwunden. Das Selbstgefühl hebt die rein reflexive Bewusstheit zugunsten einer aktiv nach innen und außen wirksamen Empfindung auf. Denn die Zukunftsoffenheit des neuen Selbstgefühls, bei gleichzeitigem Wirklichkeitsbezug aus der Vergangenheit, kann eine Entwicklungswirklichkeit des Ich herstellen und ausstrahlen, die auch in die Willenssphären der Umgebung reicht und deren Entwicklungsmöglichkeit anspricht.

4 Gedanken zu “Transformation und Ich Entwicklung II

  1. „Das alte seelische Identitätsgefühl muss also sich auflösen“ Oder: „löst sich auf und darf sich auflösen, Widerstand dagegen ist zwecklos?“-
    Vielen Dank für diese klare Erläuterung, die mich sehr anregt im Nachdenken über Wege zu Ich-Stärke im Therapieprozess, über sinnvolle Ich-tärkende therapeutische Wahrnehmung im individuellen Krankheitsprozess. Ein Patient fing an, seine schwere und gefährdende Depression zu überwinden und seinen Lebensrhythmus wiederherzustellen, als er sich fragte: Was würde ich jetzt tun, wenn ich nicht depressiv wäre?“ Das Aufspüren des willentlichen Anteils am zB depressiven, zwanghaften, süchtigen Selbsterleben ist sicher wichtiger als die abstrakte Einordnung in diagnostische Kategorieen, das konkrete Miterleben kann ermöglichen, den richtigen Zeitpunkt für die Anregung dazu zu erspüren.

  2. Lieber Reimar Menne, vielen Dank für Ihren Beitrag. Ähnlich wie Sie jetzt, hat es der Psychologe Robert Kegan in seinem Buch ‚Die Entwicklungsstufen des Selbst‘ beschrieben. Ein sehr schönes Grundlagenbuch aus der amerikanischen Ich-Psychologie.

  3. Lieber Roland, habe erst jetzt Deine wunderbaren „Zusammenfassungen“ „Angelologie und Anthropologie“ und eben diese, „Transformation und Ich-Entwicklung“ gelesen und bin begeistert, wie klar und leicht verständlich Du diese schwierigen „Kernaspekte“ in eine fließende Form gegossen hast. Da ich ständig auch über längere Zeit aus diesen „Denkgefilden“ herausgerissen werde und mir dann schwer tue, wie bei Null wieder einzusteigen – inmitten meines Texte-und-Notizen-Chaos -, ist das für mich eine gute Hilfe, den Faden wieder aufzunehmen, wie eine Richtschnur, um schwer Greifbares leichter konkretisieren zu können. Und es erscheint mir auch eine gute Grundlage zu sein, um Fragen aus dem interessierten Umfeld begegnen zu können. – Ganz herzlichen Dank!
    Nur eine Frage: In diesem o.s. Text, oberhalb von Punkt 3, schreibst Du: „Ein von Denken und Fühlen begleitetes Fühlen wird zu einem empfindenden Fühlen der aktuellen Lebenswirklichkeit, ohne in diesem Jetzt steckenzubleiben“.
    Meintest Du nicht eher: „Ein von Denken und Wollen begleitetes Fühlen“, weil mit dem Wollen ja auch der Zukunftsapekt hineinkommt?
    Herzliche Grüße, Cornelia

    1. Liebe Cornelia, vielen Dank für deine positive Resonanz. Es ich wichtig ab und zu einmal mitzubekommen, wie das wirkt, was man da schreibt und dass es hilft. Ich schreibe ja gerade an einem mehr systematischen Entwurf zur Ich-Entwicklung und da braucht man ab und zu mal ein Echo. Und du hast recht, es heißt natürlich Denkend und Wollen. Das bezieht sich ja auf die Leitsätze. Liebe Grüße Roland

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