Forschungswege mit der Farbe – Weiß
Ramona Rehn erinnerte mich heute mit ihrer Frage nach der Wirkung der Fenster von Pierre Soulage daran, dass ich noch eine Ergänzung zu meinem Bericht schuldig bin! Wie wirken die Fenster in der Kirche von Conques in der Wahrnehmung und Empfindung? Ich erinnere, es geht um Fenster, die der Maler Pierre Soulage für die alte romanische Kirche in Conques in jeder Hinsicht neu gestaltet hat. In jeder Hinsicht heißt, dass er auch das Glas für diese Fenster neu herstellen ließ: Weiße Fenster mit schwarzen Linien.
Die Fenster wirken auf mich von außen abschließend, fast wie Wände und gleichzeitig abstrakt gegenüber dem warmen Stein der Kirchenmauern. Von innen ein ähnlicher Eindruck. Sie sind undurchsichtig, das Licht kommt nicht durch sie hindurch, wie es bei normalen alten Kirchenfenstern der Fall ist. Es entsteht kein farbiger Lichtraum in der Kirche, keine seelische Stimmung! Die Fenster wirken mehr wie Zwischenflächen, ein wenig abweisend, nicht wirklich wie Fenster. Und dann, wenn man länger am Ort ist, wenn man länger hinschaut zeigen sich ganz zarte Farbveränderungen auf dem Glas der Fenster. Man ist sich erst nicht sicher, ob man diese Veränderungen selbst hergestellt hat, durch das Schauen. Die feinen Farbschattierungen, die bei jedem Fenster unterschiedlich scheinen, öffnen die Fenster gar nicht nach außen, sondern für das, was das Licht auf der weißen Glasoberfläche, also im Durchgang durch das Opake, erlebt. Dieses Erlebnis ist sehr zart und leise, und nicht so einnehmend wie die Farberlebnisse durch die Kirchenfenster alter Prägung. Es bleibt ein wenig nüchtern, nackt und abstrakt. Ich hatte es mir viel stärker vorgestellt. Aber gleichzeitig hat man das Empfinden, ja, das was ich da sehe, ist jetzt, ist heute, bin ich. Es macht weniger etwas mit mir, als dass ich aufwache für das Jetzt in der Veränderung. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Es ist eine Art Aktualisierung des Romanischen, also ob der dunkle Raum der romanischen Kirche mit den Rundbögen sich aufhellt zum Ich. Wobei die Kirche von Conques durch ihre extreme Höhe schon eine solche Tendenz auch in ihrer Architektur zeigt.
Ich habe schon viele Kirchen mit neuen Fenstern gesehen. Bisher hat mich selten etwas überzeugt. Auch im Dom in Rodez gibt es viele neue Fenster, neben den alten originalen Fenstern. Meist quietschebunt und mit Motiven oder grafisch aufdringlich überladen. Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund war ich schon überrascht über die Konsequenz und Schlichtheit der Fenster in Conques. Pierre Soulage hat für mich hier einen Ansatz gewählt und entwickelt, den ich für diesen Ort überzeugend finde. Ich erlebe ihn aber andererseits als ganz anders und fremd, im Vergleich mit normalen Kirchenfenstern. Farbiges Licht durch weißes Glas ist etwas anderes als farbiges Licht durch farbiges Glas. „Weiß oder Licht stellt dar das seelische Bild des Geistigen.“ (R. Steiner, Das Wesen der Farben, S. 38). Es ist eine Ich-Atmosphäre, die sich dort durch die Verbindung von gebautem Raum und den weißen Oberflächen der Fenster herstellt. Nach der Wanderung durch die starke und satten und auch wilden äußeren Natur der Umgebung von Conques wirkt der Aufenthalt in der Kirche wie ein Innehalten, ein Zusichkommen. In einem nächsten Schritt dann kann das Aufwachen für die zarten Farbbildungen auf dem Weiß mich in die Farbentstehung selbst hineinführen…
Roland Wiese 5.9.2023







Ein Gedanke zu “Die Kirchenfenster von Pierre Soulage in Conques”