Pierre Soulage – Die Fenster von Conques

Forschungswege mit der Farbe

Wir sind im Mai 2023 1500 Kilometer nach Rodez gefahren, um dort die Bilder von Pierre Soulage als Gesamtwerk sehen zu können, aber auch, um die Glasfenster zu erleben, die er für die Abteikirche von Conques geschaffen hat.

Glasfenster von Pierre Soulage in der Kirche von Conques
Conques

Hans Ulrich Obrist: Was war ihr erster ästhetischer >>Schock<<? Erinnern Sie sich noch genau daran?

Pierre Soulage: Ja, das war im Innenraum der romanischen Abteikirche von Conques, in der Nähe meiner Heimatstadt Rodez. Eine Stadt, die lange weitab von allem lag.

(als Kind bei einem Schulausflug. R.W.)

Pierre Soulage: (…) Nach mehreren Vorschlägen hat man mir angeboten, an der Abteikirche von Conques zu arbeiten. Ich war zuerst nicht besonders interessiert und glaubte oder hoffte sogar eine Zeit lang, dass das Projekt nicht realisiert würde. (…) Eine Besonderheit meiner Arbeitsweise war die Weigerung, Vorskizzen zu machen. (…) Ich wollte kein malerisches Medium wie Aquarell, Gouache oder ähnliches einsetzen. Der Innenraum in Conques basiert ganz auf der Lichtführung, und ich wollte eine Medium finden, das es erlaubte, exakt das Licht umzusetzen, das mir vorschwebte. Es kommt hinzu, dass das Mauerwerk der Abteikirche eine bestimmte Farbe hat: ich wollte ein Licht, das die bestehende Farbigkeit herausarbeitet, also ein farbloses, undurchsichtiges Glas, dessen Lichtdurchlässigkeit ich modulieren konnte. Nachdem ich ein solches Glas nicht finden konnte, habe ich mich entschlossen, es selbst herzustellen.

Nach 800 Versuchen am internationalen Forschungszentrum für Glas und Bildende Künste (CIRVA) in Marseille und im Forschungslabor in Aubervilliers bin ich schließlich zu diesem Ergebnis gelangt.

Als ich zum ersten Mal die Lichtwirkung des neuen Glases sah, hatte ich eine erstaunliche Eingebung. Dieses farblose Glas färbt sich durch das natürliche Licht. Wenn das Licht durch das Glas fällt, wirkt es bläulich, wenn weniger intensiv ist, strahlt das Glas ein wärmeres Licht aus, während es nach außen das im Innenraum fehlende Balu reflektiert.

Das Glasfenster ist also von beiden Seiten aus sichtbar! Erst jetzt wurden die 104 Zeichnungen auf Karton (im Maßstab 1:1) ausgeführt.

Hans Ulrich Obrist: Das ist ein echte Erfindung.

Pierre Soulage: Das ist vor allem eine Überraschung, ein Erlebnis, das sich aus dem prozesshaften Verfahren ergab. Wenn ich von einer gemalten Skizze ausgegangen wäre, hätte ich nichts anderes entdeckt als das, was für gewöhnlich auf einem Gemälde zu sehen ist. Das Projekt ist aus dem Medium selbst entstandet, einem speziell angefertigten Glas, das danach für die Ausführung des Gesamtentwurfs verwendet wurde.

Zitate aus dem Katalog Pierre Soulage, Hirmer Verlag 2010 München

Fotos: Roland Wiese

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