Tagung: Soziale Landwirtschaft

ehemaliger Kapitelsaal heute Zeichensaal, Uni Witzenhausen, Foto: Roland Wiese

Gestern war ich mit Martina Rasch (Maßstab Mensch, Umkreis e.V.) auf der Tagung ‚Soziale Landwirtschaft…‘ in Witzenhausen. Witzenhausen ist Dependance der Universität Kassel und die Tagung fand in einem wunderschönen Raum dort statt. Die Spitzbögen des alten Klosterraumes sind nicht nur ‚Zierde‘. Sie ermöglichen es in diesem Raum als Mensch zu sein, ohne genervt vom Raum zu sein. Das betrifft die ‚Akkustik‘ ebenso, wie das Raumgefühl mit über 70 Menschen über eine lange Zeit in diesem Raum zu sein. Man konnte ohne Mikro gut sprechen und konnte jeden Menschen gut hören. Das sind jetzt keine Randbemerkungen. In einem anderen Raum hätte das eine ganz andere Veranstaltung sein können. Insofern (deshalb die Fotos des leeren Raumes) war dieser gewählte oder gefundene Raum schon einmal eine wichtige Veranlagung für das weitere Geschehen.

Die Tagung, auf der ich zum ersten Mal als Gast und Beitragender war, war zweitens für mich auch deshalb eine positive Überraschung, weil gestern am ersten Tag dort einige beeindruckende Menschen zu erleben waren, die uns einen Eindruck von ihrem Wirken geben konnten. Also kein akademischer oder sonstiger ‚Input‘, sondern lebendige Menschen, die etwas zu verkörpern und deshalb auch etwas zu sagen haben, was ansteckend wirkt. Wahrscheinlich waren die teilnehmenden Menschen ähnlicher Statur, zumindest die, die ich kurz kennenlernen konnte hatten diese Ausstrahlung. Es ging um etwas!

Der Raum hat sich nach diesen Fotos schnell gefüllt, ca. 7o Menschen und auch hier eine angenehme Überraschung: die Mischung der Menschen, jung und alt, männlich weiblich, Menschen mehr aus der Landwirtschaft und Gärtnerischen Arbeit ebenso wie Menschen aus der Sozialarbeit. Studierende ebenso wie alterfahrene Praktizierende.

Das Programm gestern bestand nach der Einführung durch Thomas van Elsen, aus einem ersten Teil, den Martina Rasch einleitete. Drei ganz unterschiedliche Praxisbeispiele sozialer Landwirtschaft. Christine Kröger konnte die Entwicklung eines ganz kleinen, aber schon sehr alten Gärtnerhofes schildern: Der Mirandahof in Stuckenborstel, der als SoLaWi ca. 80 Menschen (plus Kinder usw.) mit Gemüse versorgt und gleichzeitig ein Ort ist, an dem Menschen mit seelischer Erkrankung eine geradezu therapeutische Möglichkeit haben tätig sein zu können, oder einfach dort sein zu können. Auch dieser Ort sucht inzwischen schon die Menschen, die den nächsten Entwicklungsschritt mit ihm gehen wollen.

Dann habe ich meine Zeitreise mit dem Gärtnerhof geschildert (sie unten mein Beitrag). Und als Dritter hat Uwe Weimar von Hof Fleckenbühl über seine ‚eigentliche‘ Arbeit gesprochen – über die Landschaftsentwicklung als Kulturlandschaft. Danach ging es um Landwirtschaft (im weitesten Sinne) in der Gefängnisarbeit. Neben einer JVA, in der gerade ein Projekt zur ökologischen und sozialen Landwirtschaft mit Strafgefangenen von Thomas von Elsen begleitet wird, berichtete ein Ehepaar aus der Arbeit des Seehauses in Leipzig, einer Einrichtung in der jugendliche Strafgefangene mit Familien leben und eine Ausbildung bekommen können. Dort wird vor allem neben handwerklicher Ausbildung mit Tieren gearbeitet. (Man konnte bemerken, dass es im Publikum großes Staunen darüber gab, dass es das gibt, dass eine Familie mit Kindern mit jugendlichen Straftätern zusammenlebt. Man hat überhaupt den Eindruck, dass diese Formen des miteinander das Leben zu teilen immer mehr abnehmen, weil heutige junge Menschen sich das nicht mehr vorstellen können).

Manfred Schulze brachte dann unter dem Stichwort ‚Handlungspädagogik‘ einen viel grundsätzlicheren Ansatz in die Tagung ein. Ihm geht es um Entwicklung zur Freiheit. Wie wird Naturbestimmung, also auch Verengung, für Menschen, Tiere, Pflanzen, Böden, und die Elemente, menschlich erweitert zu einer individuelleren Möglichkeit für alle Beteiligten. Er lebt auf Hof Hauser , mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wird dort (im Sinne der Handlungspädagogik) gearbeitet. Mich hat dieser Gedanke, die Freiheits-Entwicklung nicht nur für den Menschen zu denken, sondern auch für die ‚Natur‘, sehr angeregt! Es entspricht ein wenig den Bewegungen, die wir zur Zeit in der DELOS Forschungsstelle machen in Bezug auf das Tier. Manfred Schulze verkörpert das, was er ausführt auch bis in die Fußspitzen. Im besten Nietzschen Sinne ist er ein Tänzer! Passend anschließend dann noch Tobias Schäfer von der Milchschäferei Sickenbach bzw. der Jugendhilfe ‚findewege‘ . Tobias Schäfer, als gelernter bio-dyn. Landwirt, arbeitet als Heil- und Individualpädagoge. Das bedeutet, er nimmt einen Jugendlichen bei sich auf und lebt und arbeitet mit ihm, solange das nötig ist. Die Jugendlichen, die er bei sich aufnimmt, sind die, die meist durch alle anderen Angebote der Jugendhilfe durchgefallen sind. Auch er die kraftvolle Verkörperung seines Impulses und seiner Arbeit.

Im Sinne der Handlungspädagogik geht von einem solchen Sprechen aus Wirklichkeit (nicht aus Praxis!) und Erkennen sofort etwas Belebendes aus. Das Mimesis-Prinzip funktioniert auch noch bei Erwachsenen . Ich habe den Eindruck, dass es immer mehr zum eigentlichen Prinzip der Wirklichkeit wird! Man wird für kurze Zeit das, was das/der Wirkende wirklich ist und ausstrahlt. Das gilt heute natürlich positiv wie negativ. Insofern wirkten diese Menschen sicherlich anregend auf die Teilnehmenden und ich bin froh, dabei gewesen zu sein! Vielen Dank für die Einladung!

Die Tagung geht natürlich noch weiter…

Roland Wiese, 2. 11.2023

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