Die Welt ist nicht im Kopf!

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Soziale Psychiatrie (2/2018) habe ich gestern einen Aufsatz von Thomas Fuchs(siehe unten PDF) gefunden, der mich seitdem beschäftigt. Thomas Fuchs ist Professor für philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg. Er stellt die reduktionistischen Paradigmen der Neurowissenschaften radikal in Frage: „1. Die Welt ist nicht im Kopf. 2. Das Selbst ist nicht im Gehirn. 3. Psychische Krankheiten sind keine Gehirnkrankheiten.“ Eine solche Anschauung hat natürlich Folgen. Folgen für das eigene Selbsterleben, wie für den (therapeutischen) Umgang mit anderen Menschen. „Die erlebte Welt ist nicht im Kopf. Sie ist vielmehr die Welt, die wir als lebendige, verkörperte Wesen mit anderen teilen. Das Gehirn konstruiert keine virtuellen Welten, sondern es vermittelt die Wahrnehmung der Welt und der anderen – als ein Beziehungsorgan. 2. Das Selbst ist nicht im Gehirn. Subjektivität ist keine Innenwelt, kein „Ego-Tunnel“, der sich mit Hirnzuständen identifizieren ließe. Subjektives Erleben entsteht nur im Zusammenspiel von Gehirn, Organismus und Umwelt, das fortwährend die Grenzen des Gehirns und des Körpers überschreitet. 3. Psychische Krankheiten sind mehr als Gehirnkrankheiten. Das Erleben, das Selbstverhältnis, das Verhalten und die Beziehungen eines psychisch erkankten Menschen stellen die zentralen Komponenten des Krankheitsgeschehens dar. (…) Psychische Krankheiten sind immer Krankheiten der Person in ihrer Beziehung zu anderen Personen. Daher lässt sich auch keine psychische Krankheit ohne die psychiatrische Beziehung diagnostizieren oder therapieren.“

Fuchs ist von Haus aus  Phänomenologe in der geistesgeschichtlichen Linie von Husserl und Merleau-Ponty. Interessant für jemanden der selbst in der Tradition der  platonisch-aristotelischen Begriffe steht sind bestimmte Ähnlichkeiten der Phänomenologie zu Grundanschauungen des Platonismus/Aristotelismus. Das hat für die Grundannahmen in der Psychologie bestimmte Gemeinsamkeiten zur Folge: Beide Richtungen sind keine Vorstellungs-Philosophien im Sinne Kants und seiner Nachfolger. Danach ist der Mensch tatsächlich in seine subjektiven Vorstellungen ‚eingesperrt‘ und kommt nicht wirklich in die Welt hinein. Phänomenologen gehen dagegen davon aus, dass der Mensch in der Welt drinnen ist und sich wahrnehmend und erkennend betätigt. Es gibt gar kein Draußen! Eine ähnliche Grundeinstellung hat auch die arististotelische Psychologie. Es gibt auch keine künstliche Trennung von Bewusstsein und Organismus, und keine zwischen Denken, Fühlen und Wollen (also zwischen Kopf und Bauch!). Man kann einmal versuchsweise mit den verschiedenen Grundannahmen umgehen, dann wird man bemerken, was für ein fundamental anderes Erleben sich einstellt, wenn man sich in einer Welt erlebt, die von mir mitgeschaffen wird, durch mein Erleben, oder als sich Subjekt in einer objektiven Welt erlebt, deren Gesetze ich nicht beeinflussen kann…

Roland Wiese 11.4.2018

Th.Fuchs ArtikelSP

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