Nobelpreis für Peter Handke

2012 habe ich einen Aufsatz zum 70. Geburtstag Peter Handkes geschrieben. Er wurde damals in der Zeitschrift DIE DREI veröffentlicht. Aus Anlass der Verleihung des Nobelpreises poste ich ihn noch einmal in meinem Blog. Gratulation eines Lesers!

Roland Wiese 11.10.2019

Peter Handke
Zum siebzigsten Geburtstag

Peter Handke wird am 6. Dezember 70 Jahre alt. 1942 noch mitten im Krieg geboren hat er seit Mitte der sechziger Jahre bis heute ein umfangreiches literarisches Werk geschaffen. Er ist aber auch von Beginn an immer eine Person des öffentlichen Lebens gewesen, viele Menschen werden seinen Namen und Titel seiner Bücher kennen, ohne dass sie sie unbedingt gelesen haben müssen. „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ oder ‚Wunschloses Unglück“, insbesondere aber „Die Stunde der wahren Empfindung“ sind Teil der deutschen Sprache geworden. Peter Handke ist dabei eine Art öffentliche und gleichzeitig private Figur geworden, bzw. geblieben. Er hat sowohl in seinen Werken, wie in vielen Gesprächen in Büchern und in anderen Medien, seine Arbeits- und Forschungsmethode offengelegt. Und seine Arbeit, benötigt das eigene Leben und Erleben als Werkzeug und Organ. Die wechselseitige Entwicklung von Leben, Erleben und Schreiben wird sowohl in der Person öffentlich wahrnehmbar, wie im Werk. Gleichzeitig entsteht und liegt doch auch ein hohes Maß an Identität als individuelle und dauerhafte Form allen Verwandlungen zu Grunde. Dies führt dazu, dass Person und Werk einfach und ganz deutlich erkennbar sind. In dieser erkennbaren Form Peter Handkes findet sich eine Art Entwicklungsvorbild, in dem im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts anschaubar werden kann, wie eine geistige Individualität, geistige und menschliche Entwicklung miteinander verbinden kann. Das Entwicklungsproblem, das er für sich als eigentliche ‚Forschungs- und Lebensfrage benannt hat, ist die Frage nach der ‚Verwandlung‘. ‚Verwandlung‘ erscheint als Zentralbegriff in allen Werken und Äußerungen, und Verwandlung ist seelische und geistige Bemühung einerseits, also aktiver Prozess, aber auch verwandelt werden, die Verwandlung erleben, verwandelt worden zu sein. Im Hintergrund des ‚Verwandlungsbegriffes‘ steht natürlich existentiell die Frage der Identität. Peter Handke, als mit sich selbst hochidentisch, scheint diese Identität nur durch immerwährende Verwandlung bilden zu können, und gleichzeitig kann man sich fragen: Verwandelt er sich denn wirklich? Und wenn, welche Art von Verwandlung ist hier gemeint?

Peter Handke hat schon früh eine Art Begriff gefunden, der die räumliche Frage der Verwandlung in sich fassen kann: ‚Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt‘. Diese präzise Formulierung ist keine sprachliche Spielerei, sondern ein Begriff einer monistischen Welt, die doch Entwicklungsmöglichkeit in sich trägt durch gegenseitige Innen- und Außenverhältnisse. Denn solche Verhältnisse von Innen und Außen sind die Grundlage von subjektiv und objektiv, das heißt auch die Grundlage des Unterschiedes zwischen Empfindendem, zu Empfindendem und Empfundenem. Der zweite Zentralbegriff, aber auch Lebenspraxis ist das, was Peter Handke ‚Empfindung‘ nennt, und auch hier wieder sehr präzise das Entwicklungsverhältnis von Wahrheit und Empfindung, das sich in der ‚wahren Empfindung‘ zeigt. Natürlich ist auch jede einzelne Empfindung in sich wahr. Aber ihre Entwicklung liegt erst darin an anderen Empfindungen zu einer noch bestimmteren und gleichzeitig allgemeineren Wahrheit zu kommen. Peter Handkes Werk (und Leben) ist insofern ein sich ständig weiterbildender Empfindungsorganismus, in dem die einzelnen Empfindungen aneinander zu Bewusstsein kommen können. So bleiben die Einzelempfindungen nicht einzelne Goldkörner, oder sogar Goldnuggets (wie es ein Kritiker einmal formulierte), ihre Verdichtung ins Wort, und ihr Organcharakter (der gegenseitigen Sensibilität und Funktion) lassen aus ihnen neue Empfindungsmöglichkeit werden. Der Leser von Handkes Sätzen, bemerkt dies an sich selbst daran, dass er nach dem Lesen ein anderer ist, mehr bei sich selbst und gleichzeitig mehr wahrnehmend als vorher.
Die verdichteten Beschreibungen von Wahrnehmungen und Empfindungen sind nicht Selbstzweck, und auch nicht das Häkeln von Spitzendeckchen (wie eine andere Kritikerin einmal bemerkte), sie dienen der Sensibilisierung für Empfindungszusammenhänge zwischen mir und meinen Empfindungen in der Welt. Handke hat damit einen Weg aufgezeigt, der die Schwelle zur Natur (und das schließt alle Empfindungsmöglichkeiten mit ein) bewusst überschreiten lässt und eine neue Verbindung, besser noch eine neue Ortsbeziehung ermöglicht. Der so empfindende Mensch macht die Natur durchsichtig, und schafft dadurch situative Orte. Die alten Orte, sind eigentlich nur noch Anlässe für die neuen ‚Orte‘. In seinem Buch ‚Langsame Heimkehr‘ hat Handke die für ihn dafür nötige Verwandlung im Detail beschrieben. Die Schwellenerlebnisse der völligen Auflösung des bisherigen Subjekt-Objekt Verhältnisses zur Welt und zu sich sind heute im Rückblick auch eine geisteswissenschaftliche und historische Tatsache. Handke bezeugt damit einen Prozess an sich selbst, der sich in den siebziger Jahren ereignen konnte. Wobei mit ‚Ereignen‘ natürlich gemeint ist, dass die ‚Form‘ des Ereignens völlig individuell auftreten kann, in der Form, wie Peter Handke es erleben und beschreiben kann, ist das ‚Ereignen‘ aber erst verstehbar. Der Begriff ‚Schwelle‘ ist nicht umsonst ein weiterer Zentralbegriff bei Peter Handke.
Die wiederum auch historische Ausgangssituation (durch die Ereignisse der 30er und 40er Jahre) für ein solches Erleben findet sich bei Peter Handke konkret biographisch: Es ist seine Beziehung zu den Verstorbenen seiner Familie. (in der 2011 erschienen Biographie ‚Meister der Dämmerung‘ von Malte Herwig wird dieses Motiv sehr weitgehend ausgeführt). Schon die erste Erzählung ‚Die Hornissen‘ berührt indirekt dieses Thema. Vor allem aber wird in der enormen Verdichtung und auch Abstraktion der Sprache ein Zugang für den Leser in jene übergängliche Wirklichkeit geschaffen, in der Jenseits und Diesseits zusammenkommen. Die Schwelle liegt in der maximalen Konzentration der Beschreibung und der dadurch möglichen Intensivierung des eigenen Denkens. Anscheinend hat Peter Handke schon früh (ähnlich wie Rudolf Steiner es einmal für seine Jugend beschrieben hat) die Möglichkeit, sein eigenes Erleben erweitert und vertieft durch die Verstorbenen zu bemerken, und umgekehrt in der eigenen imaginativen (erfindenden) Tätigkeit für die Verstorbenen eine Möglichkeit der geistigen Mitentwicklung zu ermöglichen. Handke bleibt nicht in dem falschen Erinnerungsbegriff des 20.Jahrhunderts stecken, verdrängt aber auch nicht die realen Bezüge, sondern kann für sich und die mit ihm verbundenen Verstorbenen neue Entwicklungsräume schaffen, die wiederum modellhaft in seinem Schreiben durch den Leser nachvollzogen werden können. (Es kann dieser Zusammenhang hier nur angedeutet werden. Hintergrund der Andeutungen sind aber vertiefende Untersuchungen, aber auch öffentliche Aussagen Handkes zu diesem Thema). Insbesondere der Zusammenhang zwischen einer bestimmten Art des Schreibens, einer bestimmten Art des Sprechens und Empfindens, und der Möglichkeit des Mitlebens des Verstorben, ist von ihm und einigen wenigen anderen (z.B. Gerhard Meier) immer wieder ausgesprochen worden. Eine solche imaginative Schwellenexistenz erweitert den eigenen Erlebnisraum, kontrastiert ihn aber auch in voller Härte gegen den allgemeinen seelischen Oberflächen- und Tiefenbereich der Gegenwart. Die Berührung wird wechselseitig immer schmerzhaft sein.
Vertieft man sich in Biographie und Werk Peter Handkes bemerkt man diesen Schmerz immer wieder in einem gewissen geistigen Vorlauf, der menschlich noch gar nicht gedeckt ist, aber Deckung sucht. Auch der Vorwurf der Arroganz, des Elitären, des Weltabgewandten, des Reaktionären, des Esoterischen usw. hängt damit zusammen, dass sich hier eine Individualität inkarniert hat, die sicherlich einen längeren philosophischen Vorlauf hat. Schon das Kind wird als eine Art geistiges Wunderkind beschrieben, dass aber, und in dieser Spannung liegt viel, in einer völlig unintellektuellen Umgebung aufwächst. Im Schicksal Peter Handkes ist aber auch ‚wie eingebaut‘ eine sichere Führung zu bemerken, die z.B. dafür sorgt, dass ein völlig unbekannter jugendlicher Autor, bevor noch sein erster (ziemlich schwer zu lesender Roman) erscheint, den angesagten Schriftstellern seiner Zeit die Leviten liest (wie der 12 jährige Jesus im Tempel). Sein Auftritt bei der Gruppe 47 in Princeton ist eindrucksvoll und schafft ihm sofort einen ganz eigenen Raum. Überhaupt sind alle Bezüge zum Literarischen bei ihm, wie als Gegensatz zu den familiären Bezügen, merkwürdig punktgenau. Sein erstes Buch wird sofort von Suhrkamp veröffentlicht. Seine Bücher, obwohl schwierig und Außenseiter, haben immer Erfolg. Er kann leicht von seiner Literatur leben und ist einer der wenigen prominenten Figuren der Literatur. Er findet aber nur wenige Menschen, die ihm in einer gewissen Augenhöhe begegnen können. (Dazu gehört insbesondere Nicolas Born ). Man kann den Eindruck gewinnen, dass Peter Handke eine ganz bestimmte Aufgabe in der geistigen Entwicklung des 20. Jahrhunderts hatte (auch dies verdiente eine vertieftere Betrachtung). Die ‚Auferstehung‘ des Geistigen in der kleinsten Empfindung, die Eröffnung des Jenseitigen im Diesseits im konkreten menschlichen einzelnen Erleben, die Vertiefung der Intellektualität ins alltägliche Empfinden, die gelebte und erlebbare Schwellenfähigkeit und der immer wieder neue Schwellenaufbau im Wort und in der Sprache, und ein existentieller Verwandlungsbegriff – all dies kann man aus einer mehr geisteswissenschaftlichen Perspektive bemerken. Peter Handke hat damit auch den Literaturbegriff an eine Grenze geführt hat. Literatur wird hier Geisteswissenschaft und umgekehrt. Das 21. Jahrhundert kann jetzt an diese Entwicklung anknüpfen und das Verhältnis von Empfindung und Wahrheit weiterentwickeln. Denn wahre Empfindungen und wahres Empfinden kann jetzt auch Grundlage eines völlig neuen Wahrnehmens auf der Ich-Ebene werden und damit auch das Schicksal als ‚neue Natur‘ empfindungsfähig werden lassen. Peter Handke hat in die Entwicklung des 20. Jahrhunderts eine gewisse ‚platonische‘ Substanz eingebracht, die aus heutiger Sicht wie ein Mittleres erscheint, zwischen der Anthroposophie vom Beginn des 20. Jahrhunderts und der heute möglichen Schicksalswissenschaft und –wirklichkeit.

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