Kolloquium zur Ich-Psychologie Teil 2

Abstraktion und Leben Teil 2

Leben erleben

Einer der zentralen Begriffe einer gegenwärtigen Psychologie des Ich ist der Begriff des ‚Selbstgefühls‘. Wolf-Ulrich Klünker hat ihn in dem Buch ‚Die Empfindung des Schicksals‘ immer wieder neu charakterisiert. „In der Gegenwart hat sich das Selbstgefühl des Ich zu dem Berührungspunkt von Bewusstsein und Leben herangebildet. (…) Indem das Ich jetzt sich selbst empfindet und erlebt, fühlt es (zumindest indirekt) seine eigene Existenz in der Berührung von Bewusstsein und Leben.“ (S.23) Wichtig ist hieran die Betonung des Jetzt. Es geht um das Bemerken im gegenwärtigen Erleben. Das ältere Selbstgefühl ruht auf der unbewussten Tätigkeit der unteren Sinne auf und war insofern leibgestützt. Es gab dem Bewusstsein ein Daseinsgefühl.  Das gegenwärtige Selbstgefühl strahlt nicht mehr unbewusst in das Bewusstsein als dessen Untergrund. Es bildet sich immer wieder neu im Berührungspunkt von Bewusstsein und Leben. Es ist immer aktuelles Erleben. Es bildet sich aus der Verbindung von Bewusstseinsinhalten und Bewegungen und der zeitlichen und  örtlichen Situation. Die bisher getrennten Wahrnehmungen der unbewussten, aber aktiv tätigen unteren Sinne und bewussten, aber passiv rezeptiven oberen Sinne kommen zusammen. Ursache dafür ist die Entwicklung der Intellektualität hin zu einer möglichen Durchleuchtung der oberen Sinne. Diese bleiben nicht mehr rein passiv und lösen dann ein reaktives Denken aus, sondern das stärkere Denken wirkt in die Sinneswahrnehmung hinein. Dieses Hineinwirken ist weniger als inhaltliches Wirken zu denken, sondern mehr als Zusammenhangsbildend. Das bisherige Selbstgefühl bezog seine Identität aus der zusammenhänglichen Kraft der unteren Sinne. Die stützende Kraft der irdischen Verhältnisse und die zeitliche Kontinuität der Lebensprozesse, die bisher das Selbstgefühl konstituiert hat, werden nun durch die Zusammenhänglichkeit der Bewusstseinsverhältnisse ‚aufgehoben‘ in ein aktuelles Ich-Gefühl.

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Die Sinne des Ich

Blick auf den Rhein bei Bonn, Foto Roland Wiese

Unsere kleine Arbeitsgruppe  zu den Sinnen des Ich hat sich im August in Bonn getroffen und an der Frage der Sinne des Ich weitergearbeitet. Bei diesem Treffen kam hinzu, dass  mich Albrecht Kaiser am Sonntagmorgen osteopathisch behandelt hat. Es gab dafür den realen Anlass von heftigen Rückenschmerzen, aber auch mein Interesse die therapeutische Arbeit von Albrecht einmal selbst zu erleben. Das folgende Arbeitsgespräch in unserer Gruppe war dann stark von dem vorlaufenden therapeutischen Geschehen geprägt.  Meine folgenden Bemerkungen, mehr anregend gemeint, versuchen einiges von dem Besprochenen und Wahrgenommenem weiterzudenken. Ich bin mir bewusst, dass das Ganze noch ziemlich ‚grob‘ gezimmert ist. Ich habe mich aber im Sinne einer weiteren Forschungsarbeit an dem Thema entschlossen es in meinem Blog zu veröffentlichen. Dazu kommt im Nachhinein noch die (indirekte) Einbeziehung eines Aufsatzes von Albrecht Kaiser, der in der Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2022 erschienen ist: „Im Zwischen – eine am Leib orientierte osteopathische Besprechung“. Ein weiterer wichtiger Hintergrund für diesen Beitrag ist der Aufsatz von Wolf-Ulrich Klünker von 2009: ‚Sonnenwirkung – Licht in der Ich-Entwicklung‘

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Tastsinn und Tasten

Für die therapeutischen Verfahren, die direkt mit den Händen am Körper oder Leib des anderen Menschen ansetzen gibt es eine grundsätzliche Verwechslung zwischen Tastsinn im engeren Sinn und der Tätigkeit des Tastens im Berühren des anderen Menschen, die hier einmal angesprochen werden soll. Die Basis dieser Verfahren ist die Berührung des anderen Menschen. Dabei hat diese Berührung zwei Richtungen, sie nimmt einerseits wahr, was in dem berührten Leib anders ist, als es normalerweise ist, also Störungen, und die Berührung soll auch einen Impuls setzen, die Störung wieder aufzulösen. Der Tastsinn ist dabei die Grundlage dafür, dass der andere ganz basal wahrgenommen werden kann, aber die Wahrnehmung selbst besteht in einem ‚Tasten‘ , und dieses Tasten inkludiert wesentlich mehr Sinne als  nur den reinen Tastsinn. Die Sinne, die den Tastsinn im Tasten ergänzen, sind  insbesondere die anderen unteren Sinne, also Gleichgewichtssinn, Eigenbewegungssinn, Lebenssinn. Dazu kommt aber auch ganz wesentlich der Wärmesinn. Grundsätzlich gilt bei jeder Fokussierung von einzelnen Sinnestätigkeiten, dass in die einzelne Sinnestätigkeit andere Sinne mit hineingenommen werden. Der Maler macht dies z.B. mit dem Sehen, indem er beim Malen die Farben in ihren Verhältnissen zueinander abtastet. Der Tastsinn dient also in der leiblichen Berührung als eine Art Grundlage, der in seinem Tasten mit den anderen Sinnen wahrnimmt. Es werden mit dem Tasten Wärmeunterschiede wahrgenommen, Druckunterschiede usw. Albrecht Kaiser verweist in seinem Aufsatz zu Recht darauf, dass diese Unterschiede ja nur mit/in dem eigenen Leib des Therapeuten wahrgenommen werden können, das also eine Art Überkreuzung in der Berührung stattfindet. Der andere wird in mir mit meinen (unteren) Sinnen wahrgenommen, und umgekehrt wird der berührte Mensch die Berührung des Therapeuten wahrnehmen. Man müsste jetzt hinzufügen, dass aber in Wirklichkeit (und das war für mich auch Ergebnis unseres Gespräches in Bonn) der Therapeut immer mit seinem Ich tastet. Was bedeutet das, wenn man es nicht psychologisch fasst, sondern biographisch und geistig? Der gesamte biographische Erfahrungsvorlauf des Therapeuten tastet mit. Nur mit diesen Erfahrungen kann man überhaupt etwas wahrnehmen und therapieren, sprich ausgleichen. Die Sensibilisierung durch die eigenen geistigen Aktivierungen führen wiederum zu einer Verfeinerung der Wahrnehmungen. Umgekehrt gilt, dass der ‚Patient‘ ebenfalls einen biographischen Leib und eine geistige Voraussetzung mitbringt. Es treffen also im Tasten Ich auf Ich. Und die eigentliche therapeutische Bewegung ergibt sich aus der Entwicklungsspannung (Ein Begriff von W. U. Klünker in Die Empfindung des Schicksals) zwischen Ich und Ich. (Dazu an anderer Stelle mehr).

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Das Leben der Bilder

16.8.2022 Gespräch zu den Bildern der Ausstellung ‚View with a room‘

Gestern Abend hatten wir ein sehr schönes Gespräch im KunstRaum Bremen mit einigen wenigen Menschen zu den Bildern der Ausstellung. Eigentlich wollten wir ein einzelnes Bild einmal intensiv betrachten, es wurde aber mehr ein Austausch über die Bilder in ihrem aktuellen Zusammenklang in der Ausstellung im KunstRaum. Dabei ging das Gespräch immer hin und her von den Bildern zu bestimmten Themen, von den Themen zu den Bildern, von persönlichen Erfahrungen zu den Bildern usw. Wir saßen ja in dem Raum, in den die Bilder hineinleuchteten, also mitten zwischen den Bildern. Es war insofern nicht ein Anschauen der ‚Oberfläche‘ der Bilder oder ein Befragen nach dem Inhalt des Bildes, es war ein Abspüren der Wirkungen der Bilder in das gemeinsame Leben und Erleben im Raum. Man könnte das in keiner Weise mehr auseinandernehmen: Bilder, Raum, die Konstellation der Menschen, die Abendstimmung usw. Dadurch entstand eine ganz spezielle Substanz dieses Abends mit Tiefe und Ernst und sommerlicher Wärme. Vielleicht ist es das, was Wolf-Ulrich Klünker einmal (2010) anlässlich der Ausstellungseröffnung in Hamburg mit der ‚Hintergrundwirkung‘ der Kunst ansprach. Wie wirkt eigentlich ein Bild über die Bildinhalt hinaus in den menschlichen Erlebens und Lebensraum hinein. Das sind natürlich viel leisere Wirkungen, indirektere Wirkungen, sie sind auch nicht zu kausalisieren. Vielmehr mischen sich die Bilder mit in das Leben, sind aber auch angewiesen auf ein solches Leben mit ihnen. Es sind keine Inhaltsgegenstände mehr, die an der Wand hängen und interpretiert und diskutiert werden müssen. Weniger Bewusstseinsbilder mehr Lebensbilder…

Roland Wiese 17.8.2022

Einige Bildern von den Bildern trotz oder wegen diesen Einsichten:

View with a room – Vernissage

Kunstraum von Ute Seifert in der Rückertstraße in Bremen

Eine sehr schöne und sommerlich erfüllte und gefüllte Vernissage am Sonntagmorgen!

Zur Ausstellung von Elfi Wiese im ‚Kunst [  ] Raum‘ Bremen  8/2022

Eröffnungsansprache von Ute Seifert

Vielleicht gibt es die/den eine/n oder andere/n unter Ihnen und Euch, die die letzte Ausstellung, von Susanne Schossig, hier in unseren Räumen erinnern.

Mir schien nun diese neue Ausstellung eine schöne Fortsetzung unserer Arbeit, unserer letzten Ausstellung!

Wie schön jedoch, dass Ähnliches, Gleiches, doch immer anders ist. Nur der schnelle Blick übersieht die Differenz.

Die Arbeiten von Elfi Wiese zeigen große, atmende Flächen mit darüber gelegten kleinräumig-schriftartigen Bewegungen, die sich aus ihrem linearen Ursprung heraus auch zu Flächigem hin verdichten. Dies erlebt man besonders und oft mit Stau-nen, wenn man den Bildern in Nähe und Distanz begegnet.

Welche Gedanken haben wir, wenn wir eine Reise in ein fremdes Land unternehmen?

Wie begegnen wir dem fremden Land und versuchen, dieser Begegnung in der künstlerischen Arbeit Gestalt zu geben?

Wie lerne ich ein Land kennen?

Ist ein Land seine Sehenswürdigkeiten?

Wo beginnt die künstlerischer Arbeit?

Gibt es neben den „Sehens-Würdigkeiten“ auch andere „Würdigkeiten“ zu entdecken?

Auf vielen Reisen hat Elfi Wiese Landschaften erkundet, Material, Erden gesammelt. 

Ich zitiere hier ihre eigenen Worte  –  „Für mich liegt im Umgang mit  Landschaft und Materie eine wichtige Quelle für meine Bilder. Die Gestaltung wird oft vom Erleben der Landschaft geleitet, sowie von der Beschaffenheit  und Farbe des gefundenen Erdmaterials. Doch Empfindung  von Stimmigkeit der Komposition als solche ist letztlich das Ausschlaggebende. Das Material ist wichtig, Auslöser der malerischen Tätigkeit. aber ein Bild empfinde ich dann als gelungen, wenn Licht wie aus der Tiefe des Bildes entsteht….. Nicht, indem das Werk ein Landschaftsbild als Abbild zeigt, sondern indem es tatsächlich eine Substanz aus einer oder verschiedenen Landschaften enthält. Die untergründige Konsistenz und Farbigkeit dieser Landschaften ist im Bild“,  ist also im Grunde in transformierter Weise diese Landschaft selbst.

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Klinik Öschelbronn bekommt Bilder von Elfi Wiese für den Neubau gespendet

Nach unserem Forschungstreffen in Bonn zum Thema ‚Sinne des Ich‘ , sind wir weiter in den Süden nach Öschelbronn gefahren, um zwei Bilder von Elfi zu übergeben, die der Klinik für gespendet worden sind. Eine ausgiebige Führung durch den Neubau und ein intensiver Austausch mit Sybille Czika von der Klinikleitung rundeten den Besuch ab. Vielen Dank für die freundliche Aufnahme!

Klinik Öschelbronn, Neubau

Ein Spender, der ungenannt bleiben möchte, hat der Klinik in Öschelbronn zwei Bilder von Elfi Wiese gespendet.  Elfi Wiese war persönlich zur Übergabe gekommen und konnte Sybille Czika von der Klinikleitung über ihre malerische Arbeit und die beiden Bilder berichten. Eines der Bilder ‚Erdaufgang‘ war 2010 titelgebend für eine Ausstellung in der Galerie am Steiner-Haus in Hamburg. Es nimmt auch inhaltlich eine besondere Stellung in ihrem Werk  ein, in dem die Bilder nur selten Titel tragen. Wenn man es anschaut kann man die vertikale ‚aufhebende‘ Kraft bemerken, die rein malerisch in dem Bild wirkt. Elfi Wiese, geb. 1957 in Leverkusen, hat Sozialpädagogik und Kunsttherapie studiert. Sie wirkt seit 1986 künstlerisch in der Erwachsenenbildung und in der Arbeit mit seelisch kranken Menschen. Seit 2001 intensiviert sie die eigene künstlerische Arbeit und zeigt sie in vielen  Ausstellungen. Nach einem intensiven Austausch führte Frau Czika die Malerin durch das neue Klinikgebäude, das mit seiner farbigen Gestaltung innen wie außen beeindruckt. In diesem therapeutischen Zusammenhang finden die Bilder sicherlich einen passenden Ort, an dem sie wirken können, so wie es sich der Spender gewünscht hat.      

Sybille Czika (Klinikleitung) und Elfi Wiese

http://www.klinik-oeschelbronn.de  http://www.elfiwiese.com

View with a room

Ausstellung in Bremen 14.8.-6.9.22 Kontakt 0151-12755983 / Wiese 0157-75823730

Im Kunst( )Raum, Rückertstraße 21

View with a room

Der Titel der kommenden Ausstellung von Elfi Wiese ist ausgeliehen von Julian Lage, einem meiner Lieblingsgitarristen. Seine neue Platte heißt so. Aber dieser Titel sprang mich sofort an! Ich verstand ihn einfach nicht. Konnte ihn mir nicht übersetzen. Als ich ihn dann zum übersetzen eingab, erschien ‚a room with a view‘ – ein Zimmer mit Aussicht. Es gibt auch einen Film und ein Lied mit diesem Titel.

Also umgekehrt übersetzt heißt dann ‚View with a room‘: Aussicht mit einem Zimmer. Ich habe das dann weitergesponnen zu verschiedenen Bedeutungen. So ist der Kunst( ) Raum von Ute Seifert in Bremen, der Ort der Ausstellung, ein Raum, in Zahlen 1 Raum. Die Bilder sind die Aussichten in dem Raum. Man schaut durch die Bilder wiederum in Räume. Und ganz besonders, die Bilder schaffen selbst vor der Fläche Räume (Kann man im Internet nicht sehen, nur vor Ort). Ganz einfach, ohne jede Übersetzung, gefällt mir der Klang von ‚View with a room‘.

Roland Wiese 30.6.2022

Was ist Selbstentwicklung und wie wirkt sie auf das Kind?

Im November bin ich mit Susanne Hörz im Waldorfseminar in Köln zu einem Seminar eingeladen!

https://www.waldorfseminar-koeln.de/aktuelles/

Wir möchten mit Ihnen zusammen untersuchen, wie die eigene Selbst-Entwicklung in der pädagogischen Arbeit wirkt. Dazu gehört die grundlegende Frage was (m)eine Selbst-Entwicklung ist, die nicht nur
auf mich selbst wirkt, sondern auch in der pädagogischen Arbeit mit dem Kind.
Unterstützung in der eigenen Entwicklung. In der Pädagogik steht meist das Kind im Mittelpunkt. In diesem Seminar geht es um die Ich-Entwicklung der Erwachsenen in der Umgebung des Kindes. Was ist Ich-Entwicklung? Wie hängen Bewusstseins- und Lebensentwicklung zusammen?
Wir werden gemeinsam im Gespräch und mit Übungen an diesen Fragen arbeiten.


Termin: Freitag, 19.11.2021 von 17:00 – 20:00 Uhr
Samstag, 20.11.2021 von 10:00 – 17:00 Uhr


Dozent:in: Roland Wiese, Sozialtherapeut, Supervisor, Autor
(Umkreis e.V.; GESO-Gesellschaft für soziale Hilfen;
http://www.rolandwiese.com)
Susanne Hörz , Kunsttherapeutin BA und
Aufbaustudium zur Waldorflehrerin in Hamburg.


Ort: Michaeli Schule Köln
Vorgebirgswall 4-8
50677 Köln


Kosten: 140 € pro Person
120 € p. P. bei Teilnahme ab 2 Personen einer Einrichtung
100 € p. P. bei Teilnahme ab 3 Personen einer Einrichtung
Anmeldung: Seminar für Waldorfpädagogik Köln, Tel. 0221- 94 14 930, rausch@fbw-rheinland.d

Zusammenhänge im Geistselbst

Ich-Entwicklung Begleiten,  24. April 2021

Holz

Der folgende Beitrag ist kein Protokoll des letzten Zoom-Treffens in unserer Forschungs- und Arbeitsgruppe ‚Ich-Entwicklung Begleiten‘. Es ist mehr ein Versuch Begriffe aus dem Leben heraus zu gewinnen, die in der Lage sind mit diesem Leben umzugehen. Insofern bildet unser Treffen den realen Hintergrund für den folgenden Beitrag, er kann aber vielleicht, und deshalb wird er hier veröffentlicht, über diese Gruppe hinaus, die Perspektive auf die aktuelle Lage erweitern und vertiefen. Es ist scheint nicht zufällig zu sein, dass ich aktuell immer wieder mit der Zeit der neunziger Jahre inhaltlich und persönlich zu tun bekomme. In den neunziger Jahren, also kurz vor der Wende ins 21. Jahrhundert, waren schon einige Entwicklungen angelegt, geistig und existentiell, die jetzt erst symptomatisch virulent werden. Es kann  aufschlussreich sein sich diese Linien mit dem heutigen Bewusstsein zu vergegenwärtigen. 

 

„Das therapeutische Prinzip des menschlichen Ich ist das Geistselbst“ (W.U. Klünker in Konturen 9, 1998, S. 109)


Es sind keine einfachen Zeiten für das Ich. (Das wird immer wieder deutlich, wenn wir uns zu einem Zoom-Gespräch treffen und uns über die Lage der Einzelnen austauschen) Es ist schwierig sich in einer Situation individuell zu orientieren, wenn alle anderen aktuellen Formatierungen eher allgemeine, für alle Menschen zutreffende sein sollen und teilweise auch sind. Allgemeines wirkt auf Individuelles und Allgemeines soll dem Individuellen helfen. Es entsteht eine sehr große, kaum auszuhaltende Spannung für das individuelle Ich gegenüber der allgemeinen Gesellschaft. Auch Gruppen und Gemeinschaften haben es in dieser Situation nicht einfach – alle mesosozialen Zusammenhänge, Gruppen und Gemeinschaften werden zum Zerreißen angespannt zwischen den Positionen der Einzelnen und der Position der allgemeinen Umgebung. Man könnte es auch als Zerreißprobe erleben zwischen Subjektivität und Objektivität. Es fehlt eine Haltung und auch ein Denken, das in der Lage ist mit diesen Wirklichkeitsschichten, mit denen wir es zu tun haben, adäquat umzugehen. Unser Umgang damit reduziert sich im Kern auf eine technische, und damit eine äußerliche Praxis, die versucht das sich zeigende Geschehen unter Kontrolle zu bekommen. Aber alle technischen und pragmatischen Praxen sind notwendigerweise nicht individuell und auch schwer in die eigene Individualität zu integrieren. Sie erscheinen wie ein notwendiges äußeres Geschehen, zu dem aber keine innere seelische Verbindung herzustellen ist. Es bleibt ein merkwürdig zweidimensionales Prozess Geschehen ohne innere Tiefe. Die innere Tiefe dagegen vollzieht sich in den existentiellen subjektiven Prozessen. Hier bleibt das Individuum mit sich allein, ausgesetzt dem allgemeinen Geschehen. Alle Ansätze zu solidarischem Miteinander in einer solchen existentiellen Lage lassen sich nur schwer halten und befestigen.

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