Westen an der Aller

Mein Vater hat immer gesagt: Man muss etwas sehen, bevor man es fotografieren kann. Dazu kommt noch, man muss am richtigen Ort sein, zur richtigen Zeit (es kann sich um Augenblicke handeln!), um etwas sehen zu können. In Westen an der Aller waren wir am Sonntag anscheinend zu richtigen Zeit am Ort für diesen Anblick der Flusslandschaft. Dieses kleine und besondere Stück Flussufer liegt zu Füßen einer alten mittelalterlichen Kirche mit Wehrturm von 1200.

Unsere Fahrt an der Aller entlang am Sonntagmittag ging durch verschiedene Orte zwischen Verden und Rethem. Dabei war deutlich zu bemerken, dass bestimmte Orte eine Art starke Formprägung aufwiesen, so dass diese Orte als einheitlich empfunden werden konnten, so wie Westen exemplarisch. Umgekehrt gab es auch Orte, die wie zerstückelt wirkten, so insbesondere Rethem, ebenfalls direkt an der Aller liegend. Es war geradezu schockierend zu sehen, wie unzusammenhängend und ‚abgerockt‘ der Ort wirkte: ästhetisch und basal funktional. Als wir am Ufer ein kleines Mahnmal bemerkten, wurde schlagartig klar, was hier im April 1945 geschehen war. Ein massives Kriegsgeschehen mit vielen Toten, aber auch massiven Bombardierungen und Artilleriebeschuss und Bränden in den letzten Kriegstagen. Schaute man um sich, dann konnte die Empfindung entstehen, dieses Geschehen habe sich destruierend in der Umgebung dieses Kampfes wie eingeprägt. Nichts passte zusammen, alles wirkte wie zerstückelt, vieles war abgründig hässlich oder irgendwie heruntergekommen oder tot. Der gegenteilige Eindruck zu Westen zuvor. (Wir sind in beiden Orten herumgegangen). Als ob die Landschaft inklusive der Gebäude eine Art Einprägung der angelegten Formwirkungen der Menschen wäre. In Westen hält man den Atem an vor Schönheit und das Licht spielt auf den Gebäuden und in der Landschaft; in Rethem verschlägt es einem den Atem und man spürt das Geschockte des Ortes in seiner Zerstörung.

Geht diese Sonne hier schon unter so geht die andere dort schön auf (Grabstein an der Kirche in Westen)

Roland Wiese, 1.Advent 2020

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