
DELOS Seminar 7.8. November 2020 mit Wolf-Ulrich Klünker und Ramona Rehn
Ein Zoom-Seminar über 2 Tage, ca. 40 Teilnehmer, – die Ankündigung eines Neuanfangs. „Vom Inhalt zur Wirksamkeit“. Wie kann das gehen? Begriffe wie ‚Peinlichkeit, ‚Sentimentalität‘. Es ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nur die inhaltliche Seite der Veranstaltung zu referieren, noch schwieriger die Lebensseite zu beschreiben. Wie kann man in einem Text den Ich-Spannungsraum zu fassen bekommen, der sich zwischen der eigenen Denkhöhe/Erkenntnisgrenze und dem Bereich meines Lebens, in dem ich existentiell an der Grenze bin, ‚arm‘ bin, aufspannt? Im Zoom-Seminar wurde dieser Schwellenbereich gewissermaßen inhaltlich miterzeugt, so dass die Teilnehmenden mit ihrer eigenen Grenzsituation anwesend sein konnten. So konnte das Seminar im Verlauf immer mehr zu einer Art ‚Selbsthilfegruppe‘ werden, aber eine Selbsthilfe auf Geistselbstniveau. Peinlichkeit und Peinigung gehören zu einem solchen Spannungsraum. Ebenso Sentimentalität, als ein Empfinden, das nicht an die Wirklichkeit gebunden ist, über sie hinausgehen kann, im Unterschied zur Empfindung des Tieres.

In dem Entwicklungsraum des Ich, in dem die beiden Endpunkte in eine Berührung kommen, entsteht eine Menschlichkeit, die nicht mehr aus alter Moral sich speist, sondern aus einem aktuellen Wahrheitsgefühl. Das ist möglicherweise nicht sehr spektakulär, wirkt aber (und damit sind wir bei der Wirksamkeit) ausstrahlend in die Umgebung und ermöglicht dort eine neue Menschlichkeit im Beziehungsbereich, die auch die Verstorbenen integrieren kann. Denn die Wirklichkeit der Ich-Wirksamkeit speist sich aus der Integration der Verstorbenen in die Gefühlsbildung. Damit werden problematische Kraftwirkungen im ‚alten‘ Fühlen aus der Region der Verstorbenen ‚aufgehoben‘. Ich-Entwicklung kann nur dann eine Realität sein und werden, wenn sie über die Schwelle von Geburt und Tod hinaus sich vollziehend gedacht und zunehmend erlebt wird. Erkenntnisgrenze und Lebensgrenze sind aber gleichzeitig die Voraussetzung dafür, dass sich eine solche Entwicklung nicht linear vollzieht, sondern in immer neuen Anfängen/Ursachen. In diesem Sinne war die Veranstaltung eben kein Seminar, sondern im freien Sinne die Möglichkeit eines (individuellen) Neuanfang.

Literaturhinweis: Wolf-Ulrich Klünker, Die Empfindung des Schicksals, Biografie und Karma im 21. Jahrhundert, Stuttgart 2011
Roland Wiese 17.11.2020