
Am 28. Oktober habe ich den untenstehenden Beitrag geschrieben. Er war für mich eine Vorbereitung für die Tagung Soziale Landwirtschaft in Witzenhausen am 1. November. Dort habe ich dann ausführlich auch über Dietmars Gründung des Gärtnerhofes als eine der wenigen Baumschulen mit ökologischem Ansatz gesprochen. Auch über die Schwierigkeiten die in dieser Pionierarbeit lagen. Inzwischen habe ich erfahren müssen, dass Dietmar Schlüter am 14.11.2023 plötzlich verstorben ist. Bei aller Trauer, bin ich froh, dass ich Dietmars Wirken und Werk, kurz vor seinem Tod, den Menschen auf der Tagung schildern konnte. So kann sein Wirken und sein Werk als Impuls und als Intention in den Menschen die dort waren, und die diesen Beitrag hier lesen weiterwirken.
Vor genau 20 Jahren, also 2003, habe ich die ersten Gespräche mit Dietmar Schlüter über die Zukunft des Gärtnerhofes Badenstedt geführt. Anlass für unsere Gespräche waren die Nachfolgefrage für Dietmar Schlüter, der die Baumschule in den achtziger Jahren (zusammen mit seiner Frau Ulrike Droste und anderen Menschen) gegründet und aufgebaut hat. Anlass war auch der Bedarf der von uns unterstützten Menschen (mit seelischer Beeinträchtigung) an Arbeit. Wir hatten im Jahr 2001 eine Tagesstätte eröffnet, in der Menschen, meist nach langen Klinikaufenthalten oder langer Zeit des zu Hause seins, wieder eine regelmäßige Tagesstruktur mit anderen Menschen und erste Arbeitsmöglichkeiten angeboten wurden.
Aber schnell wurde deutlich, einige Menschen wollten mehr Arbeit und hatte auch die Fähigkeiten und Kräfte mehr zu leisten, als in der Tagesstätte möglich war. Dietmar Schlüter war Inhaber einer Bioland-Baumschule, eines Betriebes mit zwei festen Mitarbeitern, einem Baumschul-Ingenieur, einem Landwirt und Gärtner, und einem Auszubildenden. In der Saison kamen immer wieder Aushilfskräfte auf Mini-Job Basis hinzu für bestimmte Pflegearbeiten. Die Baumschule war spezialisiert auf Obst, und war aber auch zertifizierte Forstbaumschule und Galabau-Betrieb. Sie produzierte auch Unterlagen und Bäume für andere Baumschulen und war insofern mehr eine Fachbaumschule als ein Ort, an dem Kunden einzelne Bäume kauften (obwohl das natürlich auch dazu gehörte). Gleichzeitig hatte Dietmar Schlüter Kooperationen mit der Hochschule in Hannover in Forschungsprojekten zu bestimmten Problemen des Bio-Anbaus (z.B. Wachstumsdepressionen im Rosazeen Nachbau). Der Betrieb gehörte zu den Pionieren als Bio-Baumschule, und im Gegensatz zur Landwirtschaft gab es nur eine Handvoll von Bio Betrieben unter den Baumschulen. Dietmar Schlüter und seine Mitarbeiter mussten also doppelte Arbeit leisten – Einerseits den Aufbau eines Betriebes, einer Baumschule, und gleichzeitig Aufbau der biologischen Wirtschaftsweise und die damit verbundene Netzwerksarbeit. Auch der Vertrieb der Bäume musste erst aufgebaut werden. Als wir miteinander ins Gespräch gingen, war völlig offen, was aus diesen Gesprächen für ein Ergebnis hervorgehen würde. Klar wurde schnell, die Baumschule stand unter ökonomischem Druck. Eine Weiterführung in gleicher Weise war eigentlich nicht möglich. Über die Forschungsaufträge wurde die Baumschule schon unterstützt, bedeutete aber auch doppelte Belastung.
Wir haben 2 Jahre miteinander alle Möglichkeiten in Ruhe durchgesprochen und geprüft. Zum Beispiel die Umwandlung des Betriebes in einen Integrationsbetrieb. Oder eine Kooperation mit uns (GESO) und wir haben Arbeitskräfte dort im Betrieb. Letztlich haben wir uns für die Form WfbM entschieden. Die Gründe (auf meiner Seite) dafür waren und sind folgende: Ich hatte in den letzten 15 Jahren viele Arbeitsprojekte und Initiativen selbst mitaufgebaut (z.B. in Bremen das Cafe im Park, und einen Hausmeisterservice, in Sottrum die Umkreis Neue Arbeit) und hatte erlebt wie unsicher und mit wieviel Druck diese Betriebe umgehen mussten. Ich hatte als Supervisor auch eine Integrationsfirma begleitet und deren Zwangslagen miterleben können. Keine gute Ausgangslage für eine vernünftige Arbeitsumgebung für Menschen mit seelischer Krankheit. Ich hatte auch erleben können wie ambitionierte Inklusionsprojekte in Bremen (z.B. das Eduscho-Projekt) meist nur die fittesten Klienten nutzen konnten, und auch diese Projekte oft wenig nachhaltig waren. Viele dieser Projekte wurden nach einigen Jahren wieder aufgelöst. Mir war daran gelegen eine sichere und gute Arbeitsumgebung für unsere Klient*innen aufzubauen und dafür erschien mir damals die Form WfbM die sicherste und beste zu sein. Gleichzeitig war mir aber in den unterschiedlichen Projekten und Diskussionen klar geworden – es musste ein realer Betrieb sein mit einer eigenen Identität mit einer klaren Aufgabe und klarem Produkt. Nur eine solche Arbeitsumgebung schafft durch sich selbst einen klaren Sachbezug und eine klare Struktur, und nur eine solche Orientierung auf ein Ziel hin, motiviert auch Menschen, die durch ihre Krankheit oder ihre Medikamente eingeschränkt sind zur Arbeit zu kommen. Und genau diese Bewegung ist nötig, um dann wiederum sich selbst weiterzuentwickeln (vielleicht sogar, ohne es zu bemerken).
Wir haben dann eine andere WfbM gefunden, die mit uns einen Verbundvertrag abgeschlossen hat, so dass wir eine klitzekleine Werkstatt beantragen konnten (36 Plätze, statt mindestens 120). Wir haben uns entschieden den Betrieb in die GESO zu übernehmen. Gleichzeitig sollten die Mitarbeiter an Bord bleiben und Dietmar Schlüter sollte auch die Werkstattleitung übernehmen. Wir haben dies auch in kürzester Zeit mit allen Behörden hinbekommen, denn allen war klar, es gab bis dahin im ganzen Landkreis Rotenburg kein Angebot für diese Menschen an unterstützter Arbeit. So konnten wir 2005 mit vier Menschen aus der Tagesstätte starten! Die Mitarbeiter der Baumschule bekamen eine sonderpädagogische Zusatzausbildung und hatten plötzlich neben der Baumschularbeit noch die zusätzliche und bis dahin völlig unbekannte Aufgabe die Menschen anzuleiten und zu betreuen. Bei der Eröffnung habe ich in meiner Ansprache das anstehende Problem deutlich angesprochen. Wie geht das einen Betrieb und eine soziale Einrichtung, die beide nach völlig anderen Gesetzmäßigkeiten funktionieren, zusammenzuführen?
Und natürlich ging es nicht. Die Mitarbeiter beschwerten sich über die neuen Kolleg*innen: Die ständen ihnen in der Arbeit im Weg… Die Arbeit war nicht zu schaffen. Die ökonomische Lage verschärfte sich. Wir machten Minus! 5 stellig im Jahr. Krise! Wir mussten handeln. Wir haben dann den Betrieb neu aufgestellt (ohne zu wissen, ob das funktioniert), nicht ohne Gegenwehr der Mitarbeiter und des Betriebsrates der GESO. Wir haben zwei Kollegen entlassen, wir haben die Baumschulproduktion halbiert von 10.000 Bäumen auf 5.000 Bäume, haben den GALABau eingestellt und uns ganz auf das Thema Obst und insbesondere den Apfel fokussiert. Mehr Einrichtung, weniger Betrieb! Diese schwierigen Entscheidungen, teilweise gegen die Leitung des Betriebes hatten aber positive Folgen. Im Zuge der weiteren Entwicklung, mehr WfbM Mitarbeiter*innen konnte die negative Entwicklung gedreht werden. Schnell wurde auch deutlich, dass die 36 Plätze nicht ausreichen und es wurde eine Platzzahlerweiterung auf 46 Plätze erwirkt. Gleichzeitig wurde umgebaut – eine große neue Küche, ein Speisesaal und andere Räume kamen hinzu. Später noch ein beheiztes Gewächshaus für die Arbeit im Winter und die Manufaktur mit Arbeitsräumen für andere Arbeiten als draußen im Quartier.
Mit der Zeit veränderte sich auch die Einstellung der Mitarbeiter zu ihren Kolleg*innen mit Beeinträchtigung. Wir entwickelten Schulungsprogramme, in denen sie die Tätigkeiten, die gebraucht wurden lernen konnten. Und langsam baute sich eine Truppe auf, die gemeinsam die Baumschule bewirtschaftete, und in der jeder auch seine Fähigkeiten (z.B. veredeln, oder Treckerfahren, oder mit dem Transporter die Auslieferung vornehmen) einbringen konnte. Deutlich wurde die hohe Identifizierung der meisten Beschäftigten mit dem Betrieb Gärtnerhof, mit seinen Produkten und seinem Profil. Durch den halbierten Produktionsumfang und die zusätzlichen Mitarbeitenden verbesserte sich der Pflegezustand der Kulturen und gleichzeitig wurde es auf dem Gärtnerhof immer schöner, von einem eher sachlichen Betrieb zu einem Ort mit gepflegter Umgebung, mit Kräutergärten, einem Laden, einem schönen Hof, usw. Es war lebendiger und vielfältiger. Die Konzentration auf den Apfel, bzw. auf das Obst veränderte auch das Profil des Gärtnerhofes. Dazu trug natürlich auch ein zunehmendes Interesse der Gesellschaft an Bio, Gärten, Obstbäumen usw. bei. So wurden in Schulen Bäume für Erstklässler gepflanzt, Ausgleichsmaßnahmen wurden häufig mit Obstpflanzungen vorgenommen und Streuobstwiesen und Hecken wurden immer mehr angelegt und auch gefördert. Als der Gärtnerhof begann immer im Oktober einen Apfeltag zu veranstalten, war die Resonanz sehr groß. Inzwischen kommen bis zu 1500 Menschen an diesem Tag auf den Hof.

Der Gärtnerhof ist auch immer mehr zum Ort für Direktkunden geworden. Die 5000 Bäume im Jahr sind meist schnell ausverkauft. Aber inzwischen hat der Gärtnerhof auch eigene Obstbäume auf Streuobstwiesen und erntet immer mehr eigenes Obst und verarbeitet dieses zu Saft und anderen Produkten. Die Küche produziert neben dem täglichen Mittagessen Marmeladen, die es so nirgendswo zu kaufen gibt und in der Manufaktur wird immer mehr Apfelsaft hergestellt (neben anderen Produkten). In der Verwaltung arbeiten Menschen, die die gesamte Kundenbetreuung und Abrechnung übernommen haben. Der Betrieb macht nach 20 Jahren den Eindruck rund zu sein. Die Vernetzung in der Umgebung hat zugenommen. Dies führt auch zu Außenarbeitsplätzen in Dorfläden, Autowerkstatt oder Imker. Als Letztes wurde jetzt das LOGO und die ganze Außendarstellung der Produkte mit Flaschen und Etiketten erneuert.
Als wir den Gärtnerhof übernommen haben hatte er ca. 120.000 € Umsatz und machte Minus. Inzwischen machen wir mit unseren Produkten ca. 60.000 bis 80.000 € Umsatz und mit der sozialen Arbeit ca. 650.000 €. Die Produktion und der Verkauf reichen aber nicht aus, um daraus die Gehälter der Beschäftigten (WfBM) zu finanzieren. Das liegt daran, dass die Margen in der Urproduktion zu niedrig sind. Die Bäume sind zu billig! Dies gilt aber für die Urproduktion generell schon immer. Mit veredelten Produkten ist natürlich eine höhere Marge möglich, aber dafür ist unsere Produktion und der Umsatz noch zu niedrig, als dass sich das ausreichend auswirken könnte.

Fazit: Wenn man nur einmal die letzten 20 Jahre rechnet, also 5000 Bäume mal 20, kommt man auf hunderttausend Obstbäume, die wir produziert und verkauft haben. Selbst wenn nicht alle überlebt haben, das kann man sich als Bild einmal vor Augen führen. Dazu kommt, dass der Gärtnerhof ca. 150 alte Sorten kultiviert – also immer wieder neu veredelt und damit fortpflanzt. Sorten, die nur diese Tätigkeit weiterbestehen können. Und Sorten, die wesentlichen besser zu vertragen sind, als die heute üblichen Kunstsorten (Apfelallergie lässt grüßen!). Es arbeiten inzwischen ca. 50 Menschen auf dem Gärtnerhof in sinnvoller Tätigkeit und an sinnvollen Produkten und entwickeln sich dabei.

Probleme: Strukturelle ökonomische Schieflage – Umsatz der Produktion erwirtschaftet nicht die Gehälter der Beschäftigten, zunehmend Probleme beim Schutz des Bodens vor Starkregen und Dürren und dadurch Verlust von aufgebauter Substanz. Schwierigkeiten neue Flächen zu bekommen. Belastung des Teams ist hoch, gleichzeitig aber auch die Arbeitszufriedenheit groß. Die Gefahr immer mehr Einrichtung zu werden, einerseits durch die Gewohnheiten einer WfBM, aber auch durch die zunehmende abstrakten Anforderung in der sozialen Arbeit, aber auch durch die Struktur der GESO als soziale Einrichtung, die es nicht gewöhnt ist in den Strategien eines ´Wirtschaftsbetriebes zu denken.
Trotz aller Probleme oder noch anstehenden Aufgaben kann man aber konstatieren, dass es gelungen ist einen wirklichen runden Betriebsorganismus und eine soziale Einrichtung aufzubauen und miteinander zu verbinden, an dem viele Menschen partizipieren, aber auch die ‚Kultur‘ der Natur! Natürlich hat das Team und die Leitung dort dies geleistet (nicht ich). Die Zukunft liegt jetzt möglicherweise darin den Betrieb in Entwicklung zu halten, ohne dies allein über Wachstum zu tun.
Roland Wiese 28.10.2023 (anscheinend habe ich gerade die 20 Jahre Epoche bei vielen Projekten des Umkreis e.V. )
Ein Gedanke zu “Der Gärtnerhof Badenstedt – Eine kleine Zeitreise”