Die Sinne des Ich

Blick auf den Rhein bei Bonn, Foto Roland Wiese

Unsere kleine Arbeitsgruppe  zu den Sinnen des Ich hat sich im August in Bonn getroffen und an der Frage der Sinne des Ich weitergearbeitet. Bei diesem Treffen kam hinzu, dass  mich Albrecht Kaiser am Sonntagmorgen osteopathisch behandelt hat. Es gab dafür den realen Anlass von heftigen Rückenschmerzen, aber auch mein Interesse die therapeutische Arbeit von Albrecht einmal selbst zu erleben. Das folgende Arbeitsgespräch in unserer Gruppe war dann stark von dem vorlaufenden therapeutischen Geschehen geprägt.  Meine folgenden Bemerkungen, mehr anregend gemeint, versuchen einiges von dem Besprochenen und Wahrgenommenem weiterzudenken. Ich bin mir bewusst, dass das Ganze noch ziemlich ‚grob‘ gezimmert ist. Ich habe mich aber im Sinne einer weiteren Forschungsarbeit an dem Thema entschlossen es in meinem Blog zu veröffentlichen. Dazu kommt im Nachhinein noch die (indirekte) Einbeziehung eines Aufsatzes von Albrecht Kaiser, der in der Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2022 erschienen ist: „Im Zwischen – eine am Leib orientierte osteopathische Besprechung“. Ein weiterer wichtiger Hintergrund für diesen Beitrag ist der Aufsatz von Wolf-Ulrich Klünker von 2009: ‚Sonnenwirkung – Licht in der Ich-Entwicklung‘

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Tastsinn und Tasten

Für die therapeutischen Verfahren, die direkt mit den Händen am Körper oder Leib des anderen Menschen ansetzen gibt es eine grundsätzliche Verwechslung zwischen Tastsinn im engeren Sinn und der Tätigkeit des Tastens im Berühren des anderen Menschen, die hier einmal angesprochen werden soll. Die Basis dieser Verfahren ist die Berührung des anderen Menschen. Dabei hat diese Berührung zwei Richtungen, sie nimmt einerseits wahr, was in dem berührten Leib anders ist, als es normalerweise ist, also Störungen, und die Berührung soll auch einen Impuls setzen, die Störung wieder aufzulösen. Der Tastsinn ist dabei die Grundlage dafür, dass der andere ganz basal wahrgenommen werden kann, aber die Wahrnehmung selbst besteht in einem ‚Tasten‘ , und dieses Tasten inkludiert wesentlich mehr Sinne als  nur den reinen Tastsinn. Die Sinne, die den Tastsinn im Tasten ergänzen, sind  insbesondere die anderen unteren Sinne, also Gleichgewichtssinn, Eigenbewegungssinn, Lebenssinn. Dazu kommt aber auch ganz wesentlich der Wärmesinn. Grundsätzlich gilt bei jeder Fokussierung von einzelnen Sinnestätigkeiten, dass in die einzelne Sinnestätigkeit andere Sinne mit hineingenommen werden. Der Maler macht dies z.B. mit dem Sehen, indem er beim Malen die Farben in ihren Verhältnissen zueinander abtastet. Der Tastsinn dient also in der leiblichen Berührung als eine Art Grundlage, der in seinem Tasten mit den anderen Sinnen wahrnimmt. Es werden mit dem Tasten Wärmeunterschiede wahrgenommen, Druckunterschiede usw. Albrecht Kaiser verweist in seinem Aufsatz zu Recht darauf, dass diese Unterschiede ja nur mit/in dem eigenen Leib des Therapeuten wahrgenommen werden können, das also eine Art Überkreuzung in der Berührung stattfindet. Der andere wird in mir mit meinen (unteren) Sinnen wahrgenommen, und umgekehrt wird der berührte Mensch die Berührung des Therapeuten wahrnehmen. Man müsste jetzt hinzufügen, dass aber in Wirklichkeit (und das war für mich auch Ergebnis unseres Gespräches in Bonn) der Therapeut immer mit seinem Ich tastet. Was bedeutet das, wenn man es nicht psychologisch fasst, sondern biographisch und geistig? Der gesamte biographische Erfahrungsvorlauf des Therapeuten tastet mit. Nur mit diesen Erfahrungen kann man überhaupt etwas wahrnehmen und therapieren, sprich ausgleichen. Die Sensibilisierung durch die eigenen geistigen Aktivierungen führen wiederum zu einer Verfeinerung der Wahrnehmungen. Umgekehrt gilt, dass der ‚Patient‘ ebenfalls einen biographischen Leib und eine geistige Voraussetzung mitbringt. Es treffen also im Tasten Ich auf Ich. Und die eigentliche therapeutische Bewegung ergibt sich aus der Entwicklungsspannung (Ein Begriff von W. U. Klünker in Die Empfindung des Schicksals) zwischen Ich und Ich. (Dazu an anderer Stelle mehr).

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Ich und Sinn

In dem jüngst erschienenen Buch von Salvatore Lavecchia ‚Ich als Gespräch, Anthroposophie der Sinne‘ habe ich einen sehr interessanten Beitrag zu meinem (unseren) Forschungsthema ‚Die Sinne des Ich‘ gefunden. In dem Kapitel ‚Ich und Sinn‘ mit dem Untertitel Das Urbild der Wahrnehmungsorgane arbeitet Lavecchia den Gedanken aus, dass das Urbild aller Sinne, also gewissermaßen der Ursinn die Ich-Wahrnehmung ist. Die einzelnen Sinne werden als Modifikationen des Ich-Sinnes verstanden, also des Sinnes, mit dem ich ein anderes Ich wahrnehmen kann. Das dreht die ganze Perspektive der Sinneswissenschaft um. Ursprung und Ziel der Sinneswahrnehmung ist die Ich-Wahrnehmung. „Ist jedes Wahrnehmen, auch das alltäglichste, unscheinbarste, das ich als Ich verwirkliche und das ins Verstehen eines anderen Wesens münden kann, doch nicht vielleicht eine – für jede Wahrnehmung unterschiedlich starke – Annäherung an die Qualität der Begegnung zwischen sich verstehenden Ichwesen?“ (Lavecchia S. 37). Lavecchia hat für diese Perspektive auf die Sinne eine Formulierung Steiners gefunden, die aus der Zeit stammt, als Steiner an seinem Buch ‚Anthroposophie‘ arbeitete, das ja eine Sinneslehre aus dem Übersinnlichen heraus, also eine Anthroposophie der Sinne realisieren sollte (und teilweise auch geleistet hat). „An dem Ich-Erlebnis kann erkannt werden, dass das Menschenwesen aus sich heraus einen Organismus gestaltet, der in sich das Bild eines gleichen fremden Ichs gegenwärtig machen kann. Was sich als solcher Organismus gestaltet, kann als Typus eines Wahrnehmungsorgans betrachtet werden.“ Ich bin Salvatore Lavecchia für das Herausarbeiten dieses Gedankens wirklich dankbar, denn es wird damit ein Begriff des Menschen als Sinneswesen gefasst, der wie ein Okular wirken kann. Man schaut durch diesen Begriff auf das, was die Leistung (im aristotelischen Sinne), also das Was des menschlichen Organismus ausmacht. Er ist Typus eines Wahrnehmungsorgans für das Ich-Wesen in der Welt.

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Rhythmus in der Musik und im Organismus –

Notizen zu Aristoxenos

Die folgenden Gedanken habe ich für meine Freunde, mit denen ich an dem Thema ‚Die Sinne des Ich‘ arbeite verfasst. Insbesondere für Emmanuel Rechenberg, der im Bereich der Eurythmie forscht. 

Mein peripheres Ich hat in Zusammenarbeit mit meinem zentralen Ich folgenden alten Griechen aufgetan: Aristoxenos.  (Aristoxenos – Elemente der Rhythmik, Theorie der musikalischen Zeit , bei Meiner 2021 erschienen) Aristoxenos war (enger) Schüler von Aristoteles und hat „die traditionelle Musiktheorie der Pythagoreer abgelehnt und die empirische Musikwissenschaft begründet“. Er hat als erster den Rhythmus im Sprechen vom Rhythmus in der Musik unterschieden. Dies ist auch von der Musikwissenschaft im 19. Jahrhundert aufgegriffen worden, aber die entscheidenden Aspekte seiner Rhythmik wurden nicht berücksichtigt. Das führt dazu, dass vertreten wird, „dass der klassisch-griechische Sinn für Rhythmen rein quantitativ war. Damit wurde die Rhythmik auf das Metrik, der Rhythmus auf das Metrum reduziert.“ Das hat jahrhundertelang zu einem metrischen Reduktionismus geführt, der erst durch Veröffentlichungen in den letzten Jahrzehnten aufgebrochen werden konnte.

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Der Schicksalssinn

Karma 2

Will man über individuelle karmische Entwicklungen etwas sagen oder schreiben, dann braucht es dafür konkrete Erfahrungen und konkrete Anlässe. Mit Anlässe ist eine Art Anstoß oder eine Begegnung gemeint, die von außen und damit wie objektiv einen Zusammenhang sichtbar werden lässt, der nicht nur persönlich ist, sondern auch eine geistesgeschichtliche Figur beinhaltet. Ein solcher Anstoß kam vor kurzem mit einer Mail von Olga Bohnsack und Gabriel Prinsenberg, die uns darauf hinwiesen, dass wir vor dreißig Jahren, also 1991, das erste Biografie-Seminar von Gabriel im Umkreis e.V. veranstaltet haben. Ich war damals mit Olga auch Teilnehmer dieses ersten Seminars, während Elfi  die komplette Organisation und Durchführung geleistet hat. Aus diesem ersten Seminar hat sich dann eine kontinuierliche Zusammenarbeit entwickelt, die über zehn Jahre währte.  In dieser Zeit entwickelten wir gemeinsam mit Gabriel und Olga aus den einzelnen Seminaren eine Weiterbildung für Menschen in sozialen Berufen, die für viele Menschen eine wichtige Grundlage für ihre soziale und therapeutische Arbeit wurde. Neben den Seminaren mit Teilnehmenden aus ganz Deutschland, entwickelten wir regionale Kleingruppen. Und durch die gemeinsame Ausbildung entwickelten sich viele langwährende Beziehungen unter der den Teilnehmenden. Dies hatte nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die Seminare sich sehr persönlich mit Fragen des eigenen Schicksals beschäftigten und gleichzeitig dieses Schicksal auf seine ihm innewohnenden Kräfte und Gesetze angeschaut wurde. Gabriel Prinsenberg veröffentlichte 1997 sein Buch ‚Der Weg durch das Labyrinth‘  Biographisches Arbeiten Begleitung auf dem Lebensweg. 1999 haben wir im ‚Umkreis‘ ein kleines Büchlein von Gabriel herausgegeben, das den Titel trägt ‚ Die Kunst in den helfenden Berufen‘. Damals schrieb ich im Vorwort:“ Der Umkreis e.V. leistet Sozialarbeit – wie begleiten Menschen mit schweren psychischen und sozialen Problemen. Aus dieser Arbeit heraus hat sich das Bedürfnis, ja die Notwendigkeit nach weiterer eigener Ausbildung und Forschung in dem Bereich der Kunst des Helfens entwickelt. In unserer so wissenschaftsgeprägten Zeit ist es für uns ein elementares Bedürfnis die Sozialarbeit künstlerisch zu erweitern. Nur so wird sie dem ganzen Menschen gerecht. (…) Es gibt für eine erweiterte Sozialarbeit nur wenig Grundlagenliteratur. Gabriel Prinsenberg hat hier skizzenhaft einiges von dem vorgelegt was in einer solchen grundlegenden Ausbildung für eine anthroposophisch erweiterte Sozialarbeit zu finden sein wird.“

Nach der Jahrtausendwende verlor dieser Impuls (bei uns) an Kraft, und die Seminare endeten. Gleichzeitig begann unsere intensive Zusammenarbeit mit Wolf-Ulrich Klünker und Monika Elbert von der DELOS-Forschungsstelle für Psychologie in Berlin (Eichwalde). Diese fand ihren Niederschlag in unserer eignen Forschungs- und Seminartätigkeit mit dem Schwerpunkt Ich-Entwicklung (und der Mitarbeit an dem Buch ‚Psychologie des Ich‘). Anlass genug einmal aus heutiger Sicht diesen Zusammenhang in den Blick zu nehmen. Dies kann vielleicht auch helfen die eigene Spur und die damit verbundenen Intentionen (auch die des Umkreis e.V.) besser sehen zu können. Denn die Frage nach der (freien) Begleitung von Menschen auf ihrem Lebensweg und in ihrem Leben ist immer noch unsere Intention. Unsere Fachstelle ‚Maßstab Mensch‘ ist die aktuelle Realisierung dieser Intention. Die Frage nach der Psychologie des Menschen oder des Ich konkretisiert sich deshalb bei uns auf die Frage nach den psychologischen Grundlagen einer Sozialarbeit, die real in der Schicksalssphäre wirksam wird.

 

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Biographiearbeit und Karma

Beginnen wir am Ende: Uns hat damals die Frage nach dem roten Faden in der eigenen Biografie in die Frage geführt, wie denn in der eigenen Biografie das eigene Karma zu erkennen ist. Also die Frage nach dem Aufwachen im eigenen Leben hat zu der Frage nach den Kräften und Formen geführt, die dieses Leben gebildet und geformt haben. Das Ende der Biographiearbeit war für uns, die wir diese Ausbildung durchlaufen und auch mitgestaltet haben, der Anfang unserer Karma Forschung. Von der Wirkung, vom Ergebnis her geschaut, hat unsere Biographiearbeit uns auf die Spur unserer weiteren Schicksalsentwicklung gebracht, weniger, wie wir uns vorgestellt hatten, erkennend, als vielmehr wirkend. Dazu passt auch, dass unsere Versuche, die Karma Forschung direkt an die Biographiearbeit anzuknüpfen erst einmal vollständig scheitern mussten. Sowohl die Seminare, die damals besucht wurden, wie auch eigene Versuche einen Weg zu finden, führten immer in eine Sackgasse, weil wir bemerkten, dass die Art der Forschung dem Gegenstand nicht angemessen war.

Erst die über zehnjährige intensive Zusammenarbeit mit Wolf-Ulrich Klünker in dem Forschungskreis zu Therapiefragen (ab 2003) mit vielen Wochenendtreffen und Seminaren, hat diese Frage einlösen können. Das Buch ‚Die Empfindung des Schicksals – Biografie und Karma im 21. Jahrhundert‘ , von Wolf-Ulrich Klünker 2011 veröffentlicht, bezeugt diese Einlösung. „Selbsterkenntnis und Schicksalserkenntnis gehören heute eng zusammen. (…) Ich brauche mich selbst in der Fülle meines irdischen Seins, um mich geistig begreifen zu können. Und gleichermaßen: Ich selbst als geistiges Wesen kann mir der Wirklichkeit, die auch jenseits der Schwelle gilt, nur bewusst werden, wenn ich von meiner irdischen Lebensseite alle Höhen und Tiefen, alle Chancen und Gefahren , alle Hoffnungen und Ängste miteinbeziehe.“ (S.7) Und im Klappentext heißt es: „Das Ich kann heute für die Wirklichkeit des Schicksals erwachen. In der Biografie verbinden sich Bewusstsein und Leben zu einer Empfindung karmischer Realität. In dieser Schicht des Erlebens findet Anthroposophie ihre Form für das 21. Jahrhundert“. Meine grundlegende Empfindung für diesen ‚Weg‘ würde ich so kennzeichnen: Angekommen! Man könnte es auch die Erfüllung einer Bewegungsintention nennen. Wobei diese Erfüllung, dieses Angekommen sein natürlich sogleich zwei Seiten hat: Ja, du hast ein Ziel erreicht, aber was nun? Es trat tatsächlich mit der Erfüllung einer bestimmten ‚Suche‘ ,mit dem Ankommen im eigenen Schicksal, das neue Problem auf, dass anscheinend (zumindest aus heutiger Sicht betrachtet) kein weiteres Ziel intrinsisch veranlagt war. So dass mit dem Erreichen dieses Zieles das ‚neue‘ Gefühl, eine neue ‚Empfindung‘ auftrat und immer noch auftritt, dass jeder nächste Schritt nicht mehr ‚abgesichert‘ ist und völlig offen ist. Während vorher der Weg tatsächlich ein Weg durch das Labyrinth der eigenen Biografie war, und das Gehen durch das Labyrinth ein Dranbleiben an einer Art innerem roten Faden bedeutete – gegen alle äußeren Ablenkungen und Behauptungen der Außenwelt, ähnelt der jetzige Weg eher einem Weg durch die Wüste. Kein Labyrinth, kein Weg, kein roter Faden usw. Weiterlesen

Wer wirkt, tastend?

 

In einem kleinen Forschungskreis arbeiten wir an der Frage der Sinne. Insbesondere der Zusammenhang der Sinne mit dem Ich, aber auch die Entwicklung der Sinne aus dem Ich ist Gegenstand unserer Gespräche. Am Sonntag den 9.8.2020 haben wir in Bonn bei Albrecht Kaiser an diesen Fragen weiter gearbeitet. Daraus haben sich für mich wieder einige weiterführende Forschungsfragen ergeben. Albrecht Kaiser ist praktizierender Osteopath und forscht und unterrichtet zu den historischen und therapeutischen Grundlagen dieser Praxis. Sein Ziel ist es eine Sprache für eine therapeutische Erfahrungslehre zu bilden, die diese auch für die Wissenschaft zugänglich macht und umgekehrt die Wissenschaft mit den Erfahrungen dieser Praxis zu berühren. Im Hintergrund geht es dabei immer um Frage, welches Menschenbild sich aus der Praxis ergibt, bzw. diese Praxis erst ermöglicht. Er hat eine Dissertation verfasst, die auch als Buch erschienen ist: ‚Die Wirklichkeit der Osteopathie, Studie zu einer am Leib orientierten Anthropologie‘ (Erschienen im Peter Lang Verlag, Berlin 2018) Ich möchte im Folgenden versuchen diese Anthropologie in Beziehung zu bringen zu einer aktuellen ‚Anthroposophie‘. Es kann dies nur ein erster tastender Versuch sein. Dieser Versuch wird dadurch erschwert, dass es immer kompliziert ist, ein konkretes Feld, wie z.B. die Osteopathie, mit eigener Geschichte und Begrifflichkeit und eigenen Binnenregeln und Sprechweisen von außen mit ‚fremden‘ Begriffen zu befragen. Noch schwieriger wird es, wenn man davon ausgeht, dass die Osteopathie eigentlich einer Weiterentwicklung bedarf, weil ihr historisches Fundament heute als Begründung nicht mehr ausreicht. Das ist auch daran zu erkennen, dass die Osteopathie, wie viele andere Therapieformen, auf der Suche ist nach Wirksamkeitsnachweisen. Dies gestaltet sich bei Therapieformen dieser Art generell als problematisch, da zunehmend nur noch große Studien mit signifikanten statistischen Nachweisen als relevant angesehen werden. Solche Nachweise sind aber bei individueller Behandlung generell unmöglich. Will man einen anderen Weg gehen, um Wirkung und Wirklichkeit einer therapeutischen Methode zu erforschen, und Albrecht Kaiser sucht in seiner Studie einen solchen Weg, muss man tiefer und gründlicher ansetzen. Weiterlesen

In der Sonne

Hier folgt eine weitere Lesefrucht aus den drei Büchern, die ich in meinem Beitrag ‚Ausgepackt‘ angekündigt habe. Auch diese ‚Frucht‘ oder dieser ‚Keim‘ ist weniger als Rezension oder als reine Wiedergabe eines Inhalts gedacht (so wie die Paraphrase des Themistios der Aristoteles Stelle aus ‚de anima‘ auch keine wirkliche Paraphrase ist, sondern ein ‚Selbstdenken‘ des Themistios). Mein Beitrag arbeitet mit Gedanken aus Markus Gabriels neuem Buch ‚Fiktionen‘ erschienen Mai 2020 bei Suhrkamp. Es ist mehr eine Art Meditation mit Hilfe der Gedanken von Markus Gabriel. ‚Meditation‘ deshalb, weil ich versuche zu verfolgen und zu beobachten, wie mein Denken (über und mit bestimmten Begriffszusammenhängen) mein Wahrnehmen und Erleben prägt.

Zuerst der Begriffszusammenhang von Markus Gabriel. Er findet sich im 2. Teil: Mentaler Realismus im § 9 Objektive Phänomenologie (Ich weiß nicht, aber irgendwie erinnert mich der Duktus von Gabriel immer mehr daran, wie Hegel seine Bücher aufgebaut hat). Ein wirklich wichtiges Kapitel über Wahrnehmung. Der Gesamtzusammenhang kann hier nicht vollständig wiedergegeben werden. Ich greife die für mich wichtigen Bezüge heraus. Gabriel zeigt in diesem Kapitel im Wesentlichen Folgendes: 1. Wir nehmen keine (punktförmigen) Einzeldinge wahr, sondern Tatsachen über Einzeldinge. Diese Tatsachen sind abhängig von unserer Wahrnehmung und damit auch von der Wahrnehmungssituation. Denn sie sind immer zusammenhänglich. „Derselbe Stimulus wird verschieden wahrgenommen, wenn sich der Zusammenhang ändert.“ (S.321) Was wir wahrnehmen, ist etwas, dass über einen oder mehrere Gegenstände wahr ist (sprich eine Tatsache). Wahrnehmung urständet nicht in irgendwelchen Einzeldingen, die Informationen ausstrahlen, die Spuren in uns hinterlassen, sondern wir nehmen mit Hilfe unserer Sinne Tatsachen wahr. Aus dieser Wahrnehmung folgt, „dass etwas der Fall ist“. „Die Dinge hängen wirklich zusammen und dieser Zusammenhang wird nicht durch nachträgliche Synthese gestiftet“. Ein solcher Zusammenhang ist z.B. meine rechte Hand, die hier tippt. „Der ontologische Pluralismus der Sinnfeldontologie stellt ein Modell des Verhältnisses physikalischer zu nicht-physikalischen Gegenständen auf, das Konsequenzen in der Wahrnehmungstheorie hat. Demnach gibt es zum Beispiel wirklich Hände, was nicht mit dem Umstand konfligiert, dass es keine Hände gäbe, wenn die Elementarteilchensysteme, die wir durch Dekomposition von Händen entdecken können, nicht auf eine bestimmte Weise koordiniert wären.“ (S.333) Die Wirklichkeit von Händen ist schlichtweg ein anderer Zusammenhang, der sich nicht aus Elementarteilchen generieren lässt!

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