Der Tastsinn im Ich, und das Ich im Tastsinn

Teil 8

1
Nachtodlich und vorgeburtlich
In seinem Werk ‚Über die Natur und den Ursprung der Seele‘ hat Albertus Magnus im 13. Jahrhundert die weitere Entwicklung der Seele nach dem Tod erörtert. Für unsere Frage nach dem Inneren und Äußeren sind seine Erörterungen hilfreich, da es ja schwierig erscheint noch ein Inneres oder Äußeres im räumlichen Sinne zu denken, wenn die irdische Leiblichkeit wegfällt. Im Kapitel 13 dieses Buches, (das nicht von der Natur, sondern von der Natur der Seele handelt) behandelt er die Frage, was mit der Seele nach dem Tode durch die Gegenstände des Erkennens geschieht. Da das Wahrnehmen der sinnlichen Gegenstände abhängig ist von der Erkenntnisleistung des intellectus, der selbst aber erst einmal unwahrnehmbar ist, strahlt das Licht, das auf die Gegenstände „zurückgebogen“ war, zu ihm zurück (in der Wahrnehmung) und er „behält“ dieses „intelligible“ Licht. In heutiger Sprache könnte man vielleicht so formulieren: Dem Wahrnehmen liegt eine (unerkannte) Erkenntnistätigkeit zugrunde, die im Wahrnehmen auf den Erkennenden zurückstrahlt. Sie ist permanent in ihm tätig, wird aber nur durch die Wahrnehmung und an der Wahrnehmung sich bewusst. Gleiches gilt für das Vorstellen, das sich auf die Wahrnehmungen bezieht. Auch in ihm ist der Intellectus tätig – wir bemerken aber nur das Vorgestellte und nicht unsere Erkenntnistätigkeit, mit der wir vorstellen. „Diese Lichter behält also der auf sich zurückgewendete Intellekt, und von diesen Lichtern wird er erleuchtet und so erleuchtet wird seine Erkenntnisfähigkeit umfassender als sie durch sich selbst ist.“ (S.209) Albertus sieht in der Sinneswahrnehmung (und der Vorstellung) eine Stärkung des ‚möglichen Intellektes‘, der nur dadurch aufnahmefähig wird für „das Licht, das wahrhaft das Licht des Intellektes ist“ (…) (211). Sinneswahrnehmung ist eine Möglichkeit des Intellektes sich zu entwickeln – umfassender erkennen zu können, als vorher, und dadurch aufnahmefähig zu werden für das eigentliche Licht des Intellektes. Die menschenkundliche Funktion der Sinneswahrnehmung ist in dieser mittelalterlichen Perspektive die Entwicklung des Intellektes. Diese Entwicklung (ein Begriff der im Mittelalter nicht vorhanden ist) realisiert sich erst nach der Trennung der Seele vom Körper, also nach dem Tode. Die Stärkung des Erkenntnisvermögens bleibt auch bestehen, wenn die Wahrnehmung selbst vorbei ist. Nach dem Tod gibt es keine Möglichkeit mehr zur Sinneswahrnehmung und zur Vorstellung; das bedeutet der Intellekt ist dann auf die Fähigkeit selbst zu erstrahlen angewiesen, um die Dunkelheit zu erleuchten. In diesem Sinne wird die Sinneswahrnehmung als Stärkung des Erkenntnisvermögens im Nachtodlichen zu einer Art Inneren, weil sie dann die Umgebung selbst erleuchten muss um etwas zu erkennen. Wahrnehmen, Vorstellen und Denken sind ein zusammenhängendes Lichtgeschehen, von dem nach dem Tod die Möglichkeit wahrzunehmen und vorzustellen wegfällt und damit die Anregung des Intellektes, hier und jetzt tätig zu werden, wegfällt. Man könnte also berechtigt sagen die Funktion von Sinneswahrnehmung und Vorstellung (als Verarbeitung der Wahrnehmung) dienen der Stärkung des eigentlichen Ich-Prozesses. Deshalb vermutet Albertus, dass die Reinkarnation früher in diesem Sinne gelehrt wurde, „dass die Seelen nach dem Tode in andere Körper übergehen und so lange von Körper übertragen würden, bis sie durch intellektuelle Lichter, die genannt wurden, durch göttliches Licht vollendet würden.“ (S.211)
Im Nachtodlichen kann man als Inneres bezeichnen, die Fähigkeit in die Umgebung selbst auszustrahlen. Diese Fähigkeit braucht man auch, wenn man sich aktiv eigene geistige Zusammenhänge erarbeiten will, die nicht durch Sinneswahrnehmungen angeregt oder bestimmt sind. Die nachtodliche ‚Dunkelheit‘ entspricht der Dunkelheit im Geistigen, denn auch dort wird nur sichtbar, was ich selber hervorbringe. Auch Zeit und Raum muss ich im Geistigen selbst hervorbringen, durch Kontinuität des Gedachten und Bestimmtheit des Gedachten. Je stärker der Intellekt aber in dieser Kraft der Ausstrahlung wird, desto mehr verändert sich auch die Funktion der Sinneswahrnehmung. Sie wird immer weniger zur Stütze diese Kraft. Und es stellt sich die Frage, was dann aus der Sinneswahrnehmung wird?
Was ist im Sinne des bisher besprochenen dann als ‚Äußeres‘ im Nachtodlichen zu sehen? Die gestärkte Kraft des Intellektes ist der eine Teil, das Innen des nachtodlichen Ich-Prozesses; seine Umgebung ist das, was er erhellen kann. Das heißt der Intellekt ist dann auf die Zusammenhänge angewiesen, die er sich im irdischen Leben aufgebaut hat und die sich jetzt als geistige Umgebung dieser Individualität zeigen können (im Mittelalter wurde das habitus genannt). Mit dieser konkreten geistig-seelischen Umgebung erschließt sich das Ich den weiteren geistigen Bereich. Und diese Tätigkeit im Nachtodlichen ist wiederum ein Vorbereiten des Vorgeburtlichen, also das Bilden eines neuen Leibes für eine neue Verkörperung. Das Leben im Nachtodlichen besteht in der Tätigkeit im eigenen lebendigen Gedankenelement (Rudolf Steiner im ‚Heilpädagogischen Kurs‘ S.30), Beim Übergang ins Vorgeburtliche verlasse ich dieses Element und empfange dann nach Maßgabe dieses Prozesses die lebendigen Gedanken (also die formenden Gedanken), die das allgemeine lebendige Gedankenleben (der „Weltenäther“) enthält. Was ich aber nicht erkennen kann, kann ich auch nicht empfangen, und das fehlt mir dann als formende Gedanken in der Leibbildung. Mit intellectus oder Intellekt ist aber nicht nur dasjenige gemeint, was man gemeinhin unter abstraktem Denken versteht. Alle Weltbezüge, die dem Ich wichtig waren, alle menschlichen Beziehungen und Sachbezüge, die Teil des Ich geworden sind, gehören zu diesem nachtodlichen Ich.

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