Gestern Abend hatten wir das Gefühl wir müssten ausgehen! Etwas erleben. Da das Veranstaltungsprogramm nichts Ansprechendes zu bieten hatten, sind wir zu einem unserer Lieblingsplätze gefahren, dem Bremer Überseehafen. Ein riesiges Stadtentwicklungsgebiet, in dem sowohl die aktuelle Architektur im Entstehen zu besichtigen ist, wie auch alte Hafenanlagen und Gebäude. Manche davon noch im Betrieb, manche auch schon als Dekoration in eine neue Funktion überführt und umgebaut (z.B. in die Kunsthochschule). Man kann dann in einer ehemaligen Feuerwache essen und von dort in ein Hafenbecken schauen, in dem gerade die Frachter be- und entladen werden. Wir sind dann mehr zufällig dieses Mal in dem Teil des Hafens gelandet, in dem noch voller Betrieb ist. Gleichzeitig wird auch hier schon umgebaut zum modernen Containerhafen. Wir waren dort einige Zeit unterwegs.
Während wir dort umhergingen lichtete sich der bis dahin stumpfe und diesige Himmel auf und die Abendstimmung ließ die verschiedenen Orte, Gebäude und Maschinen wie bei sich selbst erscheinen. Alle wirkten wie eine merkwürdig stumme Frage – was sie denn sein sollten? Nicht immer war diese Frage zu beantworten. War manches Kunst oder Industrie? Stillgelegt oder absichtlich so verschlossen? Schon im Abriss oder im normalen Arbeitszustand?Manche Maschinen, obschon noch im Betrieb, wirkten wie Tiere aus früheren Zeiten.
Manche Gebäude warfen Rätsel auf.
Welcher Humorist organisierte diese Szenen? Manche Gebäude mussten aus den zwanziger oder dreißiger Jahren stammen. Sie hatten diese bedrohliche Ausstrahlung aus den ersten Stummfilmen (wie Metropolis). Man hätte nicht vermutet, dass es sich um eine riesige Mühle handelte.
Manche Gebäude waren auch sehr merkwürdig verschönert und hatten dadurch etwas Heiteres.
Und überall machten sich diese praktischen, aber schlichten Container breit. In allen Farben und immer der gleichen Form.
In so einem Funktionsgebiet, wie diesem Hafen, kann man alles miteinander verbinden – alle Zeiten, alle Stile, alle Funktionen…
Unten liegen die weißen Betonschwellen für die neuen Schienen. Die alten schwarzen Holzschwellen wurden mit den Schienen herausgerissen!
Das neue “trimodale Hafenkonzept” mit neuem Kran. Und überall wird die Zukunft des Hafens propagiert..
Hinter den Containern verschwindet langsam das Kaffee-Hag Gebäude. Gegenüber, auf der anderen Seite des Hafenbeckens liegen die dunklen Hallen des Holzhafens. Ton in Ton mit der Spundwand und dem gewellten Wasser.
Während auf dieser Seite die Moderne Einzug hält und die alten Lagerhallen verschwinden.
Auf dem Rückweg durch die Stadt wunderten wir uns über die Menschenmassen an der Weser, bis uns einfiel, dass ja Breminale war. Unser intensiver Hafenspaziergang war aber besser als jedes Kino oder Konzertprogramm. Der Hafen ist von seiner ganzen Räumlichkeit und Seelenhaftigkeit, ja Haptik so absolut das Gegenteil einer virtuellen Welt, und hinterlässt einen füllenden Eindruck in der Seele, als ob man sich satt gegessen hätte an einem Stück Welt. Einer Welt, die allerdings immer mehr verschwindet oder aber zur Kulisse für etwas Anderes wird…
Roland Wiese 7.7.2019